Die Zahl der Menschen, die an Krebs sterben, nimmt immer weiter zu. Krebsforscher fordern nun ein grundsätzliches Umdenken und eine bessere Prävention.

Impfungen sind eine von vielen Maßnahmen zur Verhinderung von Krebserkrankungen.

Jede zweite Deutsche erkrankt in seinem Leben an Krebs. Allein in diesem Jahr werden wieder eine halbe Million Menschen an den Folgen ihrer Krebserkrankung sterben. Bis 2030 wird es ein Fünftel mehr sein, schätzt man. Angesichts dieser alarmierenden Zahlen fordern jetzt führende Krebsforscher einen Paradigmenwechsel in der Onkologie. 

Sie wollen die Zahl der Todesfälle drastisch senken, am liebsten auf null. So zumindest der Wunsch, den sie im Rahmen des diesjährigen „Innovations in Oncology“-Symposiums in Berlin vorstellen.

Jeder Krebstote ist einer zu viel

„Vision-Zero“ heißt das Konzept, das ursprünglich aus dem Straßenverkehr stammt. Dort konnte man die Todesfälle seit den 1970er Jahren um bis zu 90 Prozent senken – durch konsequente Maßnahmen, von der Gurtpflicht über Geschwindigkeitsbegrenzungen bis hin zu verpflichtenden Airbags.

Angewandt auf die Krebsforschung sehe das dann so aus, dass man alle erdenklichen Maßnahmen ausschöpfe, so Christof von Kalle, seit Juni Verantwortlicher des Berliner Institut für Gesundheitsforschung (BIH) für Klinisch-Translationale Wissenschaften an der Charité, „denn jeder Krebstodesfall sollte inakzeptabel sein“. Diese Grundhaltung müsse man in der Politik, aber auch bei der Bevölkerung etablieren.

Von Kalle gehört zusammen mit Christa Maar, Präsidentin des Netzwerks gegen Darmkrebs zu den Veranstaltern des diesjährigen Krebssymposium in Berlin. Unterstützt werden sie dabei von Michael Baumann, Vorstandsvorsitzender des Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg.

Mehr Geld für die Prävention und Früherkennung

Ein besonderer Fokus soll dabei auf der Prävention und Früherkennung von Krebserkrankungen liegen. „Allein dadurch lassen sich bis zu 70 Prozent aller Krebstodesfälle verhindern“, so Michael Baumann. Dazu gehören die Teilnahme an Früherkennungsuntersuchungen wie der Darmspiegelung, Schutzimpfungen wie die gegen Gebärmutterhalskrebs, aber auch Änderungen des Lebensstils.

Doch gerade das sei das schwierigste von allem, sagt Christa Maar. Man könne aber beispielsweise dabei ansetzen, „endlich die Außenwerbung für Zigaretten abzuschaffen“. Zudem brauche es den politischen Willen. Maar fehlt es in Deutschland an einer „Präventionsintelligenz“, andere Länder wie die Niederlande seien da viel weiter.

Dort haben Patienten, genau wie Deutschland, die Möglichkeit, ab einem bestimmten Alter ihren Stuhl auf Blutrückstände untersuchen zu lassen. Das kann in manchen Fällen ein Hinweis auf eine Darmkrebserkrankung sein.

Der Unterschied sei, dass die Patienten in den Niederlanden zusammen mit dem Informationsschreiben gleich ein Probenröhrchen und einen frankierten Rückumschlag zugeschickt bekämen, sagt Maar. Hierzulande sei das viel zu kompliziert. Das Schreiben sei unverständlich, der Patient müsse mehrmals zum Arzt gehen – alles Hindernisse, die man ganz leicht abbauen könnte.

Patienten sollen es einfacher haben

Um die Hürden für die Patienten noch weiter zu senken, fordert sie zudem einfachere Früherkennungsuntersuchungen. Blut- oder Urintests würden vermutlich besser angenommen werden als die bisher verwendeten Stuhlproben. Deshalb plane sie, die etablierten Tests mit neueren in Studien zu vergleichen.

Das Beispiel Darmkrebs verdeutlicht, wie das Konzept „Vision-Zero“ aussehen könnte: Informationsschreiben werden verständlicher formuliert, Patienten wird Aufwand abgenommen und Tests werden optimiert.

Das könnte sich auch finanziell lohnen. „Aus der Verkehrsforschung weiß man, dass Präventionsmaßnahmen äußerst kosteneffektiv sind“, sagt Christof von Kalle vom BIH. Dementsprechend müsse man auch darüber diskutieren, die Gelder im Gesundheitswesen umzuverteilen. Weder er noch sein Kollege Michael Baumann wollen dafür aber Mittel aus der Therapieforschung abziehen. Laut von Kalle gibt es andere Bereiche im Gesundheitswesen, „die wahrscheinlich weniger sinnvoll sind, als die Leute davon abzuhalten, an Krebs zu sterben“. Welche das sind, lässt er jedoch offen.

Berlin könnte nationales Tumorzentrum bekommen

Von Kalle war bis vor Kurzem Direktor des Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCC) in Heidelberg. Eine seiner Hauptaufgaben als neuer BIH–Chair wird es sein, die Akteure der Berliner Gesundheitsforschung besser zu vernetzen. Dabei möchte er klinische und Grundlagenforschung näher zusammenbringen. Ergebnisse aus der Forschung sollen schneller und effektiver in die Therapie der Patienten einfließen. Gern würde er in Berlin „in die Richtung eines NCC gehen“. Es läge ihm aber fern, die Hauptausrichtung des BIH in die Krebsforschung zu lenken. Zwar habe er „viele Onkolologiethemen auf dem Zettel“, die anderen Forschungsbereiche des BIH seien aber genauso wichtig. 

„Vision-Zero“ geht einher mit der „Nationalen Dekade gegen Krebs“, die in diesem Jahr vom Bundesministerium für Bildung und Forschung eingeleitet wurde. In einem ersten Schritt fördert das Ministerium in den kommenden Jahren mit bis zu 62 Millionen Euro.klinische Studien, die dazu beitragen sollen, die bisherige Behandlungspraxis zu verändern.

Auch hier wird ein Schwerpunkt auf dem Thema Prävention und Früherkennung von Krebs liegen. Eine Arbeitsgruppe wird sich dabei speziell auf die drei häufigsten Arten, Brust-, Darm- und Lungenkrebs, fokussieren. Bisherige Instrumente der Früherkennung, wie beispielsweise der Test auf Blut im Stuhl zum Erkennung von Darmkrebs, sollen verbessert oder durch noch einfachere Tools ersetzt werden. Auch vom Einsatz Künstlicher Intelligenz verspricht man sich große Fortschritte.

Die Krebsforscher sehen ein, dass durch ihre Maßnahmen künftig nicht jeder Krebstodesfall vermeidbar sein wird, aber eine deutliche Annährung an „Vision-Zero“ halten sie zumindest für keine Illusion. 

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