Nach einem Gerichtsurteil steht alles still beim Superteleskop TMT auf Hawaii. Womöglich für immer. Die Forscher reisen bereits nach Chile und Indien, um sich nach Alternativen umzuschauen.

Blick in die Zukunft. So soll das 30-Meter-Teleskop einmal aussehen.

Der Mauna Kea auf Hawaii ist für viele ein Sehnsuchtsort. 300 000 Touristen kamen allein im Jahr 2015. Geologen können dort einen der mächtigsten Vulkankomplexe der Erde erforschen. Astronomen schätzen den Berg, weil die Luft da oben so klar ist, dass ihre Teleskope besonders scharfe Bilder liefern. Für die indigene Bevölkerung Hawaiis spielt er eine wichtige Rolle in ihrer Kultur und Religion, es ist ein heiliger Ort. Das hat beim Bau der bestehenden Teleskope immer wieder zu Konflikten geführt. Bei dem neuen 30-Meter-Teleskop (TMT) wollte man alles besser machen, redete mit Ureinwohnern, Ökologen, versprach Millionenförderung für die einheimische Bevölkerung. Ohne Erfolg. Im Zuge des ersten Spatenstichs vor einem Jahr flammten Proteste auf. Der Bau des 1,4-Milliarden-Dollar-Apparats wurde gestoppt, unterdessen hat der oberste Gerichtshof die Baugenehmigung wieder entzogen und das juristische Verfahren um einige Stufen zurückgestellt. Die TMT-Kollaboration sucht bereits alternative Bauplätze.

„Wir waren ziemlich überrascht“, sagt Günther Hasinger, Leiter des Instituts für Astronomie an der Universität von Hawaii. Die Gesellschaft der Inselgruppe sei sehr hierarchisch, wie in Japan gelten Ältere als besondere Respektspersonen. Also sprachen die Astronomen vorrangig mit älteren Vertretern der indigenen Bevölkerung sowie den übrigen bekannten Interessengruppen, berichtet Hasinger. Die Einigung sah vor, dass das Teleskop etwas unterhalb des Gipfels mit den heiligen Orten errichtet werden soll. Von dort oben aus würde es nicht zu sehen sein, wie auch von vielen anderen Teilen der Insel nicht. Zusätzlich sollen jedes Jahr zwei Millionen Dollar unmittelbar in Ausbildungsprojekte fließen.

Abgeleitet von „Je suis Charlie“ hieß es bald „We are Mauna Kea“

Der Baubeginn im April 2015, bei dem ortstypische Rituale wie das Einstoßen von Stöcken in die Erde vorgesehen waren, geriet zum Fiasko. Eine Gruppe von jüngeren Bewohnern versperrte die Zufahrt. Die Protestierer verharrten wochenlang, blockierten die Straße mit Steinen, was durchaus gefährlich für Autofahrer war, sie schnitten die Glasfaserkabel durch, die für die Kommunikation zwischen den Teleskopen auf dem Berg und den Forschern im Tal dienten, berichtet Hasinger. Über soziale Medien gewannen die Protestierer schnell Unterstützung. Abgeleitet von „Je suis Charlie“ hieß es „We are Mauna Kea“. Prominente wie der Schauspieler Jason Momoa (aktuell in „Batman v Superman“) beteiligten sich an der Kampagne, selbst Anti-Gentechnik-Aktivisten waren bald dabei.

Im Dezember beschied der oberste Gerichtshof von Hawaii, dass die Baugenehmigung nicht hätte erteilt werden dürfen, weil die Anhörung der Betroffenen nicht abgeschlossen war. Dadurch wurde der Genehmigungsprozess bis zu einem Punkt zurückgeworfen, der bereits vor fünf Jahren erreicht war. Nun ist eine erneute Anhörung nötig, bei der auch jene Gruppen zu Wort kommen sollen, die noch nicht beteiligt waren. Für diese Aufgabe wurde Anfang April die ehemalige Richterin Riki May Amano ausgewählt. Wenn die Gespräche gut verlaufen, könnte Ende 2016 oder Anfang 2017 die Baugenehmigung wieder erteilt werden, schätzt Hasinger. Es könnte auch später werden, selbst eine Absage ist nicht ausgeschlossen.

Geringe Luftverwirbelung über dem Vulkan

„Die Geldgeber des TMT haben der Regierung von Hawaii die Pistole auf die Brust gesetzt und gesagt, wenn bis April 2018 nicht mit dem Bau begonnen werden kann, ist Schluss“, sagt Hasinger. Tatsächlich sucht das Konsortium nach Alternativen. Auf der aktuellen Kandidatenliste befinden sich das Observatorium Hanle im indischen Teil des Himalaja und Chile. Im März bereisten die Projektmanager die Kanareninsel La Palma und zeigten sich begeistert von dem Standort. Wie ernst das gemeint war und wie viel Drohung in Richtung hawaiianische Behörden darin steckt, bleibt offen.

Allein von den technischen Voraussetzungen her gesehen sind alle Alternativen zweite Wahl. Die Luft über dem Mauna Kea ist sehr klar, und es gibt weniger Verwirbelungen als etwa über den Anden. Moderne Teleskope können das mittels adaptiver Optik ausgleichen. Per Laserstrahl wird die Luftbewegung vermessen und die Spiegel des Teleskops steuern dagegen, damit die Sterne nicht so sehr „wackeln“. Die Korrektur ist umso besser, je weniger sie ausgleichen muss.

Auf der Südhalbkugel soll ein weiteres Großteleskop kommen: E-ELT

Sollte das TMT (weitere Informationen zu den Aufgaben und Kenngrößen finden Sie hier), an dem vor allem die USA, Japan, Indien und China beteiligt sind, auf der Südhalbkugel errichtet werden, stünde es in direkter Konkurrenz zum „European Extremely Large Telescope“ (E-ELT), das derzeit in Chile gebaut wird. Beide Großteleskope würden in dieselbe Himmelsrichtung blicken. Nur ein Standort auf der Nordhalbkugel schafft eine sinnvolle Ergänzung.

Noch kämpfen die Astronomen für Hawaii. Sie haben angekündigt, im Gegenzug das ältere Infrarotteleskop „Ukirt“ auf dem Mauna Kea abzubauen. Sie beteuern, dass sie die Nutzung der heiligen Stätten auf dem Gipfel so gut es geht unterstützen und dass sie gemeinsam mit den indigenen Einwohnern Konzepte entwickeln wollen, um den Massentourismus auf den Berg zu kanalisieren. Nicht zuletzt geht es auch um viel Geld. Mit den Teleskopen auf dem Berg sind 500 Hightech-Jobs entstanden. „Insgesamt bringen die Observatorien eine Kaufkraft von 170 Millionen Dollar pro Jahr in die Region“, sagt Hasinger. „Mit dem TMT werden es 200 Millionen sein.“ Die kommenden Monate werden zeigen, ob sich Forscher und Einwohner auf einen Kompromiss einigen, der für alle tragbar ist.

Gut 9000 Anwohner eines Radioteleskops in China müssen weichen

Auch andernorts gibt es Konflikte beim Bau von großen Forschungsgeräten. In China wird seit 2011 das „Five hundred meter Aperture Spherical Telescope“ (Fast) errichtet, das mit seinen Abmessungen den bisherigen Rekordhalter, das Radioteleskop von Arecibo, deutlich übertrumpfen wird. Im Februar wurde bekannt, dass gut 9000 Anwohner im Umkreis von fünf Kilometern „evakuiert“ würden, wie die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua mitteilt. Sie erhalten umgerechnet rund 1600 Euro Entschädigung. Die Umsiedlung sei nötig, um Störungen der empfindlichen Messgeräte gering zu halten.

Tatsächlich sind jegliche Aktivitäten des Menschen vom Handytelefonat bis zum Verkehr ein Graus für Radioastronomen. Deshalb werden neue Antennen bevorzugt in abgeschiedenen Regionen errichtet, wie der Karoo-Wüste Südafrikas oder in Westaustralien. Dort wird auch – die Erfahrung lehrt es – genau darauf geachtet, die indigene Bevölkerung in die Vorhaben einzubinden und einen entsprechenden Ausgleich zu schaffen. So hat die Gruppe der Wajarri Yamatji ausdrücklich dem Bau der „Askap“-Antennen auf ihrem ursprünglichen Land nördlich von Perth zugestimmt. Man erhoffe sich davon Bildung und Arbeitsplätze.

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