Fünf Jahre VroniPlag Wiki: Gerhard Dannemann, Professor an der Humboldt-Universität, über den Fall Ursula von der Leyen und die Arbeit der „Plagiatsförster“.

Dr. med. von der Leyen. Nach den bisherigen Maßstäben der Gerichte wäre der Doktorgrad wohl weg. Der Plagiatsexperte Gerhard…

Herr Dannemann, VroniPlag Wiki wird am Montag fünf Jahre alt. Ist das ein Grund zu gratulieren?

Wer will, kann gratulieren zur weltweit größten, qualitätsgesicherten Dokumentation von Plagiaten in mittlerweile 165 Hochschulschriften und zu einem gesteigerten Bewusstsein für die Gefahr wissenschaftlichen Fehlverhaltens.

Soeben hat die Medizinische Hochschule Hannover (MHH) die zahlreichen fundierten Hinweise von VroniPlag Wiki in den Wind geschlagen. Ursula von der Leyen habe nur Fehler gemacht. Ist das für Sie und Ihre Mitstreiter nicht frustrierend?

Das Ergebnis stört mich weniger als die Begründung. 32 von der MHH festgestellte Plagiate auf 67 Seiten, oft in den Text eingepasst. Die Verfasserin hat schriftlich versichert, die Regeln eingehalten zu haben und zitiert anderswo auch richtig: Dass die MHH da „keine Anhaltspunkte für eine bewusste Täuschung“ sehen kann, widerspricht gleichermaßen dem gesunden Menschenverstand und der Rechtsprechung. Die lehnt auch einhellig die von der MHH praktizierte Reduktion der Arbeit auf einen angeblich intakten „wissenschaftlichen Kern“ ab. Bewertet wird stets die eingereichte Arbeit, nicht eine hypothetische nach Abzug aller Plagiate.

Wenn Doktorierte sich gegen den Entzug ihres Grads gewehrt haben, hatten sie nie Erfolg. Den Gerichten reichen weit weniger Fundstellen als etwa der MHH. Warum nehmen die Richter die Wissenschaft ernster als manche Wissenschaftler?

Ich halte es für wahrscheinlich, dass die MHH hier den Weg des geringsten Widerstandes gegangen ist: Lieber die Rechtsprechung passend hinbiegen als Frau von der Leyen zu beschädigen oder gar eigene Verantwortung der Hochschule für die Fehler zu übernehmen. Da steht die MHH leider nicht ganz allein.

Offenbar wollen viele Fakultäten den betroffenen Doktoreltern nicht weh tun. Braucht Deutschland also eine unabhängige Prüfstelle?

Viele Universitäten nehmen wissenschaftliches Fehlverhalten sehr ernst und gehen konsequent dagegen vor. Es müsste also möglich sein, dass die Hochschulen das Problem selbst in den Griff bekommen. Aber viele andere tun sich sehr schwer damit, vor allem bei Fehlverhalten von noch aktiven Wissenschaftler(inne)n. Manchmal sitzen die Hochschulen, die über den Entzug entscheiden, letztlich zu dicht dran und fürchten, ihr Ruf könnte leiden, wenn sie wissenschaftliches Fehlerverhalten feststellen. Das ist natürlich grundfalsch: Fehlverhalten gibt es überall. Man kann es nicht vollständig verhindern. Eine Universität schädigt aber ihren Ruf, wenn sie dagegen nicht einschreitet, sondern es unter den Teppich kehrt.

Gerhard Dannemann, Professor für Englisches Recht, Britische Wirtschaft und Politik, mag es nicht, wenn man ihn als…

Wie etwa die Universität Innsbruck.

Ja, sie hat sich kürzlich bei der Evaluierung der Juristischen Fakultät eine handfeste Rüge für das Vertuschen von Plagiaten eingehandelt. Ich denke mittlerweile, am meisten Fehlverhalten gibt es an den Hochschulen und den Fakultäten, die meinen, damit kein Problem zu haben. Insgesamt wäre da eine zentrale Institution wohl hilfreich, weil sie den nötigen Abstand schaffen und auf eine einheitlichere Anwendung der allgemein anerkannten Maßstäbe hinwirken könnte. Das Beispiel Österreich, wo es eine solche Institution schon gibt, zeigt aber auch, dass das ein langfristiges Unterfangen ist.

Der Wissenschaftsrat will eine nationale Plattform schaffen, in der die Ombudsleute der Hochschulen für wissenschaftliches Fehlverhalten sich vernetzen und gemeinsame Bewertungsmaßstäbe entwickeln. Hätte es diese Stelle und die dort erarbeiteten Standards schon gegeben, hätte Leyen ihren Doktorgrad dann sicher verloren?

Entschieden hätte ja trotzdem die MHH. Aber eine solche Stelle hätte wohl das Augenmerk auf geltendes Recht und auf mögliche Defizite in der Betreuung und Begutachtung der Arbeit gelenkt. Wenn nun der Betreuer Frau von der Leyen zum Plagiieren geradezu ermutigt hätte – das will ich gar nicht unterstellen, ist anderswo aber schon vorgekommen – hätte man mit gutem Grund davon absehen können, den Doktorgrad zu entziehen.

Welche statistische Bilanz zieht VroniPlag Wiki nach fünf Jahren?

Im VroniPlag Wiki sind Plagiate in neun Habilitationsschriften, 155 Dissertationen und einer Masterarbeit öffentlich dokumentiert. Die betroffenen Universitäten werden davon grundsätzlich unterrichtet. In 34 Fällen wurde der Grad entzogen oder zurückgegeben, in 20 dagegen bestätigt, allerdings mehrfach unter Erteilung einer Rüge, Herabsetzung der Note oder unter der Auflage, eine plagiatsfreie Version nachzureichen. In allen anderen Fällen ist eine Entscheidung noch nicht getroffen oder nicht bekannt. Was besonders auffällt: Die 20 Fälle ohne Entzug waren im Schnitt genau so schwer wie die 34 Fälle mit Entzug. Und dass man tendenziell gegenüber plagiierenden Kolleg(inn)en etwas großzügiger ist als gegenüber plagiierenden Politiker(inne)n.

VroniPlag Wiki ist aus dem GuttenPlag Wiki, das die Dissertation des damaligen Verteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg dokumentierte, hervorgegangen. Wie sind Sie selbst zur Mitarbeit an VroniPlag Wiki gekommen?

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Mit einigen Monaten Verzögerung, die Politiker-Fälle haben mich weniger interessiert. Anfangs habe ich im VroniPlag Wiki vor allem Abgrenzungsfragen zwischen Plagiat, noch tolerierbarer und korrekter Zitierweise diskutiert, und 2012 habe ich dann erstmals bei einem Fall aus der Wissenschaft federführend die Dokumentation übernommen.

Es ist sehr zeitaufwändig, Arbeiten auf Plagiate zu untersuchen. Wie lange wollen Sie selbst sich das noch antun?

Meine Hoffnung ist, dass VroniPlag Wiki sich selbst dadurch abschafft, dass die Hochschulen durchgehend Plagiate und andere Formen wissenschaftlichen Fehlverhaltens ernst nehmen, allen Studierenden ordentlichen Umgang mit Quellen beibringen, genügend Personalmittel für den Umgang mit wissenschaftlichem Fehlverhalten bereitstellen und sich die im VroniPlag Wiki entwickelten Techniken zum Auffinden und zur qualitätsgesicherten Dokumentation von Plagiaten aneignen. Da war ich anfangs aber wohl zu optimistisch.

Wie viele Mitstreiter braucht ein solches Portal, um Einfluss nehmen zu können?

Derzeit kommt VroniPlag Wiki mit etwa zwei Dutzend Mitarbeiter(inne)n, davon einem Dutzend regelmäßig aktiven, ganz gut aus. Mit einigen mehr ginge es besser und vor allem schneller. Jede(r) kann mitarbeiten!

VroniPlag Wiki kann als seriös gelten. Es gibt Regeln, ab wann eine Arbeit überhaupt öffentlich angezweifelt wird und wie stark der Plagiatsverdacht sein muss, damit auch der Name des Autors veröffentlicht wird. Gibt es noch andere organisierte Plagiatsjäger in Deutschland, die Sie mit VroniPlagWiki auf Augenhöhe sehen?

Es gibt einzelne Personen, die mit vergleichbarer Qualität dokumentieren, aber in kleineren Stückzahlen und insgesamt weniger transparent für die Öffentlichkeit.

Arbeitet VroniPlag Wiki auch seriös, der Name klingt unseriös. VroniPlag Wiki hat sich nach einem der ersten seiner Fälle benannt, nach Veronica Saß, der Tochter von Edmund Stoiber, die ihren Doktorgrad verloren hat. Haben Sie schon mal über einen besseren Namen nachgedacht?

Den Namen finde ich auch ganz unpassend. Dazu gab es vor Jahren eine lange Diskussion. Die meisten aus der Gründungszeit hingen letztlich am bestehenden Namen.

Sie mögen es nicht, wenn die Medien Sie als „Plagiatsjäger“ bezeichnen. Warum nicht – und wie sollten wir stattdessen schreiben?
Manche nennen mich „Plagiatsexperte“. „Plagiatsdokumentar“ geht auch. Wer Jagdmetaphern so liebt, sollte lieber „Förster“ als „Jäger“ verwenden. Aber die Jagd ist ein völlig falsches Bild. Die Dokumentation von Plagiaten hat nichts mit Waffen, Rudeln, Lärm, Sicht, Überrumpelung, List oder Geschwindigkeit zu tun. Man kann sich ihr auch nicht durch Flucht, Hakenschlagen oder Verstecken entziehen. Und es geht nie auf Leben und Tod, sondern um das Einhalten von sehr einfach zu befolgenden, allgemein anerkannten Regeln, die gute Wissenschaft garantieren sollen.

Die Fragen stellte Anja Kühne.

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