Nieder mit den Hierarchien: In der Departmentstruktur, wie sie die Junge Akademie vorschlägt, soll es nur noch Professoren geben – und keine abhängigen Mitarbeiter. Doch es gibt auch Kritik.

Schneller zum Ziel. Die Junge Akademie will die Zahl der Professuren verdoppeln oder verdreifachen und Lehrstühle mit…

Kündigt sich eine Revolution an deutschen Universitäten an? Junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wollen das traditionelle Lehrstuhlprinzip kippen. Dafür wirbt seit einigen Monaten von Berlin aus eine bundesweite Initiative: Wissenschaftliche Mitarbeiter sollten abgeschafft und dafür die Zahl der Professuren mehr als verdoppelt werden. Die Junge Akademie, der Zusammenschluss des Nachwuchses der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina, verspricht eine neue Generation eigenständig forschender, lehrender und auf Augenhöhe kooperierender Professorinnen und Professoren.

Dafür trommelt und twittert die Initiative seit einigen Monaten auf allen Kanälen, ihre Sprecherin Jule Specht stellt sie in Radiosendungen und auf Podien vor. Der sperrige Begriff „Departmentstruktur“ schleicht sich so allmählich in das Bewusstsein der scientific community.

Klarere Karrierewege statt ewiger Warteschleife

Das Modell entspricht dem der amerikanischen Universitäten. Hierzulande wurde schon der Tenure Track, der Weg von einer erfolgreichen Junior- auf eine Vollprofessur, nach US-Vorbild eingeführt – warum nicht auch die Departmentstruktur? Sie soll entscheidend dazu beitragen, dem wissenschaftlichen Nachwuchs zu einem früheren Zeitpunkt in der Karriere eine klare Perspektive auf eine Dauerstelle an der Hochschule zu bieten. Andernfalls können sich die Promovierten rechtzeitig für einen anderen Karriereweg entscheiden, anstatt zwölf Jahre oder länger auf befristeten Stellen oftmals in einer prekären Warteschleife steckenzubleiben. Unumstritten ist das Projekt der Jungen Akademie aber keineswegs, wie sich am Montag bei einer Tagung an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften zeigte.

Bei Jule Specht, Psychologieprofessorin an der Humboldt-Universität, klingt zunächst alles ganz einfach. Über die Hälfte der wissenschaftlichen Mitarbeiter an deutschen Unis sehen ihre Zukunft nicht in der Wissenschaft. Die am häufigsten genannte Begründung: Die Beschäftigungsperspektiven sind einfach zu schlecht, in der Wirtschaft sind sie sehr viel besser. „Wie gelingt es, diese Hochqualifizierten in der Wissenschaft zu halten?“, fragt Specht. Um dann die Vorteile der Departmentstruktur aufzuzählen: Die Professoren bekommen ein größeres Kollegium mit einem breiteren Themenspektrum, die Last der Verwaltungs- und Gremienarbeit wird auf viele Schultern verteilt. Sekretariatsarbeit, finanzielle und andere Ressourcen werden aus einem Pool verteilt. Der Mittelbau erhält bessere Karrierebedingungen, die Studierenden werden individueller betreut. Und die Politik kann den Strukturwandel nutzen, um etwa durch eine Frauenquote für mehr Chancengerechtigkeit zu sorgen.

Aus 26 Mittelbaustellen werden elf zusätzliche Professuren

Im Kern schlägt die fünfköpfige Autorengruppe um Jule Specht vor, haushaltsfinanzierte Mittelbaustellen in Professuren umzuwandeln. Nicht eins zu eins, sondern „kostenneutral“ und bei gleicher Anzahl der in der Lehre erteilten Wochenstunden. In einer Musterrechnung zeigt Specht anhand eines fiktiven Fachbereichs wie es gehen könnte. In der Lehrstuhl-Struktur unterrichten sechs Professuren mit einer Lehrverpflichtung von je neun Stunden insgesamt 54 Semesterwochenstunden und erhalten dafür insgesamt 594 000 Euro im Jahr. Ihre wissenschaftlichen Mitarbeiter – 14 Doktoranden auf halben Stellen, sieben Postdocs und fünf unbefristete Wi Mis – leisten zusammen 101 Stunden in der Lehre ab und „kosten“ rund 1,26 Millionen Euro. Die Gesamtkosten für das wissenschaftliche Personal am Fachbereich belaufen sich auf rund 1,86 Millionen Euro.

In der Departmentstruktur käme derselbe Fachbereich auf 17 Professorinnen und Professoren. Aus 26 Mittelbaustellen würden elf zusätzliche Professuren, was einer Überleitungsquote von 42 Prozent entspricht. Alle Hochschullehrenden zusammen verdienen dann rund 1,68 Millionen Euro. Ihr Lehrdeputat ist mit 153 Semesterwochenstunden nur geringfügig niedriger als die Gesamtleistung in der alten Struktur von 155 Stunden.

„Feudalverhältnisse im Lehrstuhlsystem“

Die Zahl der Professuren und damit der einzig attraktiven Stellen an der Uni also ließen sich mehr als verdoppeln – in einem radikaleren Modell auch verdreifachen, sagt Specht. Statt hierarchischer Verhältnisse, wie sie heute häufig noch zwischen Professoren und ihren abhängigen Mitarbeitern herrschten, würde durch die Departmentstruktur „eine dynamische Wissenschaft“ entstehen, die sich „durch Zusammenarbeit auf Augenhöhe auszeichnet“, heißt es in dem im Oktober 2017 veröffentlichten Papier der Jungen Akademie.

Über „Feudalverhältnisse im Lehrstuhlsystem, wo Ressourcen zwischen konkurrierenden Fürstentümern verteilt werden“, spricht auch der Soziologe Peter Ullrich, Mitarbeiter der TU Berlin und im Netzwerk Gute Arbeit in der Wissenschaft engagiert. Promovierende seien wegen der Stellenvergabe durch die Profs und durch deren Begutachtung abhängig und häufig geradezu „unterwürfig“. In einer Departmentstruktur könnten grundlegende Probleme wie Demokratiemangel und prekäre Beschäftigung gelöst werden.

Akademie-Vize und Ex-HU-Chef ist gegen „klassische Patronage“

„Enthierarchisierung!“ – Theologie-Professor Christoph Markschies, Vizepräsident der Berlin-Brandenburgischen Akademie und ehemaliger Präsident der Humboldt-Universität, outet sich ebenfalls als Fan der Departmentstruktur. Die deutsche Universität sei der „letzte Ort, an dem die klassische Patronage noch geübt wird“. Wissenschaft aber brauche „frühe Verantwortung“, die bisher „berufsbiografisch verzögert“ sei.

Die wissenschaftlichen Mitarbeiter indes wollen gar nichts von ihrer Abschaffung wissen. Martin Grund, Doktorand an der Uni Leipzig und am dortigen Max Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften, erinnert daran, dass die Promovierenden den Löwenanteil der wissenschaftlichen Arbeit leisten. „Im Department-Modell werden sie in Graduiertenschulen ausgegliedert“, kritisiert Grund, der sich im „N2 Network“ der Max Planck-, Helmholtz- und Leibniz-Doktoranden engagiert. Dann seien alle „Auszubildende“, würden bestenfalls mit einem Stipendium finanziert und säßen erst recht nicht mehr mit den Professorinnen und Professoren an einem Tisch.

WiMis wünschen sich das Department mit Lecturer-Stellen

Tatsächlich würde es Promovierende auf Haushaltsstellen im Department-Modell der Jungen Akademie ebenso wenig geben wie von der Uni finanzierte Postdocs. Erhalten blieben dagegen die aus Drittmitteln finanzierten Qualifikationsstellen, also in Graduiertenkollegs der Deutschen Forschungsgemeinschaft oder in Forschungsclustern, für die das Geld etwa aus der Exzellenzinitiative von Bund und Ländern kommt. Ein zu radikales Modell, findet auch Thomas Riemer, Postdoc am Institut für Medizinische Physik der Uni Leipzig. Die „Mittelbauinitiative“, in der Riemer aktiv ist, setzt sich zwar für eine Departmentstruktur ein – „allerdings mit einem sehr starken Mittelbau“. Vorbild dafür ist nicht Amerika, sondern Großbritannien mit dem Senior Lecturer und dem Reader als Stellenkategorien neben der Professur.

„Das war total gleichberechtigt, wir wurden sehr früh als Kollegen betrachtet“, schwärmt Riemer, der das System in Nottingham erlebte. Für Christine Tiefensee, Philosophie-Juniorprofessorin an der Frankfurt School of Finance and Management, ist das eine Frage der „Kultur“, die an britischen Unis anders als an deutschen zu finden sei.

Wer empirisch arbeitet, braucht ein Team von Mitarbeitern

Das will der Präsident der Universität Potsdam, Wirtschaftsinformatiker Oliver Günther, nicht gelten lassen: „Ein guter Lehrstuhl zeichnet sich dadurch aus, dass dort das moderne Managementprinzip gilt.“ Dann sei er „besser als jede nackte Professur am MIT“. Zumal etwa empirisch arbeitende Professoren gar nicht ohne ein Team von wissenschaftlichen Mitarbeitern auskommen würden. Das gelte auch für die Lehre. Der haushaltsfinanzierte Mittelbau sei „entscheidend für die Qualität des Hochschulsystems“, sagt Günther.

Diejenige Bundesforschungsministerin, die zu ihrer Zeit eben diesem System manchen revolutionären Wandel verordnet hat – darunter die Juniorprofessur und die Exzellenzinitiative – stellt sich an die Seite der Jungen Akademie. Die Departmentstruktur wäre die nächste richtige Weichenstellung für die deutschen Unis, findet Edelgard Bulmahn (SPD). Sie könnte etwa helfen, ein Personalmanagement einzuführen und schneller neue Forschungsthemen anzugehen. Eine Schwäche ihres Vorschlags aber müsse die Junge Akademie in der Tat korrigieren: Gerade in den Kleinen Fächern werde es nicht ohne haushaltsfinanzierte Postdoc-Stellen gehen.

Bremen versucht es, bleibt aber in Status-Diskussionen stecken

Wie schwierig es ist, auch nur in einem Institut die Departmentstruktur einzuführen, selbst wenn alle dafür sind, zeigt das Beispiel der Politikwissenschaft an der Uni Bremen. Dort entschied man sich 2015 zur Revolution. „Wir haben aber bis heute keine umgewandelte Professur“, gibt der Bremer Professor Philip Manow zu. „Auslaufende Mitarbeiterstellen einkassieren, um eine neue Professur zu schaffen“ – das klingt so einfach. Aber bisher werde nur diskutiert: „Wer soll zuerst jemanden abgeben und welche Professur mit welchem Profil entsteht dann?“

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