Impfen schützt. Doch Impfgegner tauschen diverse Argumente dagegen aus. Eine US-Studie ist dem nun nachgegangen: Auf Social Media wie Facebook oder YouTube.

Die „Kinderkrankheit“ Masern kann zu schweren Komplikationen und sogar zum Tod führen. Davor schützt die Impfung, doch Impfgegner…

Facebook, YouTube und Co. sind bei Impfgegnern beliebte Plattformen, um Stimmung gegen das Impfen zu machen. Die oft zitierte Angst davor, dass Impfungen Autismus oder andere gesundheitliche Probleme auslösen würden, ist dabei allerdings nur ein Argument von vielen. Das berichten Forscher der Universität Pittsburgh im Fachblatt „Vaccine“. Andere Gründe sind demnach mangelndes Vertrauen in die Wissenschaft, Bevorzugung von Alternativmedizin wie Homöopathie und Verschwörungstheorien.

Unbegründete Angst vor Autismus als Impf-Nebenwirkung

Impfgegner behaupten schon seit Jahren einen Zusammenhang zwischen der Standardimpfung gegen Masern-Mumps-Röteln und der Entwicklung von Autismus. Dabei berufen sie sich auf einen Artikel, den der britische Arzt Andrew Wakefield 1998 im Fachblatt „The Lancet“ veröffentlichte. Das Journal zog die Studie 2010 wegen gefälschter Daten zurück, Wakefield verlor in Großbritannien seine ärztliche Zulassung wegen unethischen Verhaltens. Dennoch fallen seine Behauptungen immer noch auf fruchtbaren Boden.

Allerdings ist die Angst vor Autismus nur ein Argument von Impfgegnern. Das zeigt eine Analyse impfkritischer Facebook-Postings von 197 Einzelpersonen, die das Impfvideo einer US-Kinderklinik kommentierten. Das Team um Brian Primack von der University of Pittsburgh wertete die Facebook-Profile der Kommentatoren nach soziodemografischen Faktoren aus. Zudem analysierten die Forscher impfkritische Beiträge dieser Personen aus den vergangenen zwei Jahren. „Wir wollen impfkritische Eltern verstehen, um Ärzten die Möglichkeit zu geben, mit ihnen optimal und respektvoll über die Bedeutung der Immunisierung zu kommunizieren“, erläutert Primack in einer Mitteilung zur Studie.

Misstrauen gegenüber Medizin und Wissenschaft

Das Ergebnis: Die meisten Kommentatoren waren Mütter. Diejenigen, deren Facebook-Profil Rückschlüsse auf ihre politische Einstellung zuließ, waren zu 56 Prozent Anhänger von US-Präsident Donald Trump. Allerdings stammten die Kommentatoren aus insgesamt acht Ländern. Inhaltlich ließen sich die Postings vier Hauptargumenten zuordnen:

– Unter dem Schlagwort „Vertrauen“ sammelten die Forscher Beiträge, die Misstrauen gegenüber der wissenschaftlichen und speziell der medizinischen Community zum Ausdruck brachten.

– „Alternativen“ betraf Postings, die auf die in Impfungen enthaltenen Chemikalien fokussierten und stattdessen homöopathische Heilmittel propagierten.

– „Sicherheit“ umfasste jene Kommentare, in denen es um befürchtete Impfrisiken ging, etwa die Angst vor Autismus.

– „Verschwörung“ beschreibt schließlich jene Beiträge, die behaupteten, dass Regierungen oder andere Organisationen Informationen über Gefahren des Impfens zurückhalten.

Die Identifikation dieser vier Gruppen bedeute, dass pauschale Botschaften für das Impfen nicht funktionierten, erklärt Ko-Autorin Beth Hoffmann. „Sagt man etwa jemandem aus der „Vertrauen“-Gruppe, dass Impfungen keinen Autismus auslösen, erreicht man ihn nicht, weil das überhaupt nicht sein Bedenken ist.“

Müssen Mediziner aktiver sein auf Social-Media-Kanälen?

Vielmehr sei es wichtig, maßgeschneiderte Botschaften zu entwickeln. Darüber hinaus plädieren die Autoren der Studie für eine bessere Vermittlung von Medienkompetenz, ansprechendere Aufklärung und mehr Social-Media-Aktivitäten von Medizinern in entsprechenden Online-Diskussionen.

Der Düsseldorfer Kinder- und Jugendarzt Hermann Josef Kahl hält gerade den letzten Vorschlag für keine praktikable Lösung, weil dafür einfach keine Zeit sei. Zudem seien weniger die Impfgegner das Problem, sondern vielmehr, dass viele Eltern Impftermine vergessen. „Ist in der Praxis viel zu tun, wird im Zweifelsfall vielleicht der Impfpass nicht kontrolliert“, betont der Sprecher des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ). Und Eltern, die Impfungen skeptisch gegenüberstünden, hätten Ängste, die man ihnen in den 15 bis 30 Minuten pro Behandlung kaum nehmen könne. Noch weniger gelinge es in dieser Zeit, überzeugte Impfgegner anzusprechen.

Der Kinder-Gastroenterologe und Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ), Burkhard Rodeck, rät, zwischen impfkritischen und dogmatischen Eltern zu unterscheiden: Erstere seien Argumenten noch zugänglich, letztere nicht mehr. In Deutschland stünden gut zehn Prozent der Bevölkerung Impfungen skeptisch gegenüber – aber nur ein kleiner Teil davon lehne sie grundsätzlich ab.

Deshalb hält Der Leiter der Kinder-Gastroenterologie am Christlichen Kinderhospital Osnabrück Überzeugungsarbeit für wichtig: „Wir brauchen Impfraten von weit über 95 Prozent, um Krankheiten wirklich auszurotten.“ In Deutschland würden viele Menschen der wissenschaftlichen Gemeinschaft nicht mehr vertrauen, hinzu komme Gleichgültigkeit: „Eine Bezeichnung wie „Kinderkrankheit“ klingt niedlich, aber gerade das Beispiel Masern zeigt, dass derartige Krankheiten ein hohes Potenzial für Komplikationen haben und immer noch tödlich enden können.“

Rodeck plädiert für breit angelegte Informationskampagnen, um die Bedeutung des Impfens für jeden Einzelnen, aber auch für die Gemeinschaft zu betonen. Wichtig sei auch der Abbau praktischer Hürden, etwa durch Erinnerungssysteme oder späte Impfsprechstunden für Berufstätige. Zudem sollte das Personal in Kindertagesstätten und Schulen fit für das Thema gemacht werden.

Impfpflicht könnte abschreckend wirken

Eine allgemeine Impfpflicht sieht Rodeck nicht unkritisch: „Eine derart autoritative Strategie könnte eher abschrecken und hat sich in europäischen Nachbarländern im Ergebnis auch nicht bewährt.“ Hier ist Kahl anderer Meinung: Der BVKJ plädiere für eine gesetzliche Impfpflicht, um den sogenannten „Herdenschutz“ zu erreichen, zudem sollten nur geimpfte Kinder in eine Kita aufgenommen werden dürfen.

Für noch besser hält Kahl allerdings die Einführung eines nationalen Impfregisters. So wüsste man genau, wie viele Menschen überhaupt geimpft seien.

Alice Lanzke (dpa)

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