Die Universität Hamburg feiert ihren 100. Geburtstag und hofft, endlich die Exzellenzkrone zu erringen. Kann Präsident Dieter Lenzen seinen Auftrag erfüllen?

Der Forschung, der Lehre, der Bildung. Dem historischen Hauptgebäude ist der Grundgedanke der Universität eingraviert.

Hamburg? Das ist der Hafen. Jahrhundertelang verstand sich das von selbst. Für eine Universität war im Selbstbild der Hansestadt kein Platz. Erst 1919 wurde sie gegründet – und dieses Jubiläum feiert die Universität, als müsse sie die Stadt noch immer von sich überzeugen. „Die Phase haben wir hinter uns“, sagt Uni-Präsident Dieter Lenzen. Aber der 100. Geburtstag sei durchaus „eine einmalige Gelegenheit, die Stadt stolz zu machen auf ihre Uni“.

Neulich auf dem Dammtor-Bahnhof habe ihn jemand gefragt: „Sind Sie nicht unser Präsident?“ Kein Uniangestellter, sondern ein ganz normaler Bürger, erzählt Lenzen in seinem loftartigen Büro in Alsternähe. Der Bahnhof liegt direkt am historischen Hauptgebäude der Universität und Lenzen hat erreicht, dass er zum Auftakt des Jubiläumsjahres den Namenszusatz „Universität“ bekommen hat.

Rückenwind aus Berlin

Übersehen kann den 100. Uni-Geburtstag jedenfalls niemand. „Von Allen für Alle. 100 Jahre Uni Hamburg“ wurde schon auf die Elbphilharmonie, das Rathaus, die Hauptkirche St. Michaelis und den Fernsehturm projiziert. Und Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD), bis März 2018 Erster Bürgermeister von Hamburg, spendierte aus Berlin eine Sonderbriefmarke.

Lenzen wurde vor zehn Jahren nach Hamburg gerufen, um in der Hansestadt dasselbe Kunststück zu vollbringen wie zuvor in Berlin an der Freien Universität: Dort führte er die einstige unterfinanzierte Massenuni erfolgreich in den Exzellenzwettbewerb von Bund und Ländern. 2007 errang die FU als erste Berliner Uni die Exzellenzkrone. Im März 2010 trat Lenzen dann in Hamburg an, mit dem Auftrag, die als „bestenfalls zweitklassig“ gescholtene Hochschule neu aufzubauen.

Dieter Lenzen, seit 2010 Präsident der Universität Hamburg.

In Hamburg speiste sich der Ruf einer maroden Massenuniversität aus hinteren Rankingplätzen, einer drittmittelschwachen Professorenschaft und einer wenig charismatischen Unileitung in den 90er Jahren und frühen 2000er Jahren. Der langjährige Präsident Jürgen Lüthje, ein Jurist, wurde 2006 von der Stuttgarter Raketentechnikerin Monika Auweter-Kurtz abgelöst. Ihr autoritärer Leitungsstil aber führte 2009 zur vorzeitigen Vertragsauflösung. Ein Desaster, das der Erziehungswissenschaftler Dieter Lenzen aufklaren sollte.

Eine Universität? Fanden die Kaufleute überflüssig

Die Wurzeln der hanseatischen Uni-Verachtung reichen sehr viel weiter zurück. Schon die Berliner Gründung von 1810 galt als spät. In Hamburg, das viel früher Metropole war, wehrte sich die Mehrheit der Bürgerschaft vehement gegen eine eigene Universität, wie in der Chronik des Universitätshistorikers Rainer Nicolaysen nachzulesen ist. Die Kaufleute bildeten ihre Söhne gegenseitig im Handelskontor aus oder schickten sie auf auswärtige Hochschulen. Ab Mitte des 18. Jahrhunderts entstand das Allgemeine Vorlesungswesen, für das ab 1906 auch eigens Professoren berufen wurden. Betrieben hat dies der Senatssyndikus Werner von Melle, seit 1900 Senator für das Höhere Bildungswesen. Auch Wissenschaftliche Anstalten gab es inzwischen, darunter den Botanischen Garten, die Sternwarte und das Institut für Schiffs- und Tropenkrankheiten.

In der Universitätsfrage aber ging lange nichts voran. „Sehr einflussreiche Leute sahen in ihr nicht nur etwas Überflüssiges, sondern ein Bleigewicht für die wirtschaftliche Stoßkraft Hamburgs, das alle seine Mittel dem Hafen zuwenden sollte“, hieß es in den zeitgenössischen Erinnerungen eines Oberbaudirektors. Auch Eifersucht sei im Spiel gewesen, könnte doch eine „selbstbewusste Gelehrtenklasse“ den Hanseaten „die geistige Führerschaft“ streitig machen.

28. März 1919: Erste demokratische Unigründung

Noch 1913 wurde in der Bürgerschaft die „geniale Einseitigkeit“ der Kaufmannsstadt beschworen und von Melles Universitätsantrag spektakulär abgelehnt. Doch nach der Revolution von 1918/19 beschloss die erste demokratisch gewählte Bürgerschaft, in der die Sozialdemokraten nun die absolute Mehrheit besaßen, am 28. März 1919 das Hamburger Universitätsgesetz. „Es war die erste parlamentarische und demokratische Universitätsgründung in Deutschland“, sagt Historiker Nicolaysen. Die SPD plante sie als erste deutsche Reformuniversität – „mit freiester Verfassung und mit freiesten Zulassungsbedingungen“.

Dass daraus nichts wurde, lag an der Mehrheit der Professoren und der Studierenden, die sich bewusst an den traditionellen Universitäten orientierten, sagt Nicolaysen. Und auch an Werner von Melle, der aus vordemokratischer Zeit als Bürgermeister und Senator weiter im Amt blieb. Aus seiner Sicht sollte sich die Universität nach dem Vorbild ihrer „älteren Schwestern“ entwickeln, also unter Alleinherrschaft der Ordinarien, ohne studentische Vertretung und Aufsicht durch eine Hochschulbehörde. Sogar die traditionellen Talare, die zunächst nicht vorgesehen waren, erkämpften sich die Professoren noch 1927.

Aufstieg – und tiefer Fall ab 1933

Durch prominente und „liberale“ Berufungen gewann die Hamburger Universität indes schnell an Ansehen. In der Weimarer Republik lehrten dort etwa der Philosoph Ernst Cassirer, der Kunsthistoriker Erwin Panofsky und der Physiko-Chemiker und spätere Nobelpreisträger Otto Stern. Cassirer war 1929/30 Rektor der Universität – und 1933 ihr erster Emigrant, vertrieben mithilfe des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“.

Die erste, 1923 ernannte Professorin der Universität, Niederdeutschforscherin Agathe Lasch, wurde 1942 nach Riga deportiert und dort ermordet. Zu den Opfern des NS-Regimes, zu dem sich die Mehrzahl der Professoren bekannte, gehörte auch die studentische Widerstandsgruppe der „Hamburger Weißen Rose“.

Nach der Kapitulation im Mai 1945 lag die Uni in Trümmern, doch schon zum Wintersemester wurde sie wiedereröffnet – und viele der belasteten Professoren blieben im Amt. Wie überall in der Bundesrepublik lehnte sich in Hamburg die Studentenrevolte seit Mitte der 60er Jahre dagegen auf. Der Slogan „Unter den Talaren – Muff von tausend Jahren“ wurde 1967 in der Hansestadt geboren, als Anspielung auf die Kontinuitäten aus Hitlers „Tausendjährigem Reich“.

Endlich eine Reformuniersität

1969 fegte das Hochschulreformgesetz die Ordinarienuniversität hinweg. In der neuen Gruppenuniversität hatten neben Professoren auch Assistenten und Studierende sowie (ab 1972) auch Verwaltungspersonal Mitwirkungsrechte in den Gremien. Noch im selben Jahr wählten sie mit dem 37-jährigen Theologen Peter Fischer-Appelt, einem wissenschaftlichen Assistenten der Uni Bonn, erstmals einen Präsidenten, der kein Professor war.

Nun also machte Hamburg mit seiner „linken“ Hochschulpolitik Furore und wuchs in der Bildungsexpansion zu einer Massenuniversität heran. Die Stadt fremdelte aufs Neue mit ihrer Uni – und der Senat sparte an ihrem Budget. Um zu erklären, dass trotzdem nicht alles schlecht sei, was die Professorenschaft und das breite Fächerspektrum in Hamburg leisteten: Dazu kam der umtriebige Dieter Lenzen 2010 gerade richtig.

Lenzens Rezept: Die Stärken sichtbar machen

Als Hamburg noch auf hinteren Ranking-Rängen rangierte, erklärte er Ranglisten für realitätsverzerrend. Lenzen lieferte keine Daten mehr an die Ranking-Institute. Gleichzeitig erstellte Lenzen wie zuvor schon in Berlin ein Meta-Ranking, das Hamburg als heimlichen Shooting-Star zeigte. „In solchen großen Einheiten ist immer sehr viel Licht, man muss es nur sichtbar machen“, sagt Lenzen.

Mit der Hamburger Hochschulpolitik legte er sich an, als der jährliche Zuwachs des Unibudgets 2012 auf schmale 0,88 Prozent gesetzt wurde. Wenn Lenzen heute sagt, die Hamburger Politik sei wissenschaftsfreundlich „geworden“, spielt er eher auf die jüngste Vergangenheit an als auf die schwierige Gründungsgeschichte.

Als Wendepunkt weg von der Sparpolitik gilt eine 70-minütige Grundsatzrede, die Olaf Scholz im November 2017 vor dem Übersee-Club hielt: Hamburg solle als „großer deutscher Wissenschaftsstandort“ etabliert und die Universität gestärkt werden. Scholz’ Nachfolger Peter Tschentscher (SPD) und Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank (Grüne) legten nach, mit Zusagen für überfällige Neubauten und Ausbauplänen für den Forschungscampus Bahrenfeld rund um Hamburgs stetig wachsenden Elektronenspeicherring Desy. Dort soll ein neues Adlershof oder Garching entstehen; wenn nicht gleich, wie Lenzen im Januar sagte, „ein neues Oxford“.

Vier Cluster – und jetzt die Exzellenz als „Flagship University“?

Lenzens Berufung jedenfalls hat sich für Hamburg ausgezahlt: Bei der ersten Entscheidung in der neuen Exzellenzstrategie von Bund und Ländern brachte die Uni im September 2018 alle vier großen Forschungscluster aus der Material- und Klimaforschung, der Astrophysik und der Manuskriptforschung durch, die meisten einer einzelnen Universität im Wettbewerb. Klappt es jetzt auch mit der Exzellenzkrone für die ganze Uni? „Wir gehen da mit Demut hinein“, sagt Lenzen. Dass er die Exzellenzkrone im Erfolgsfall noch als Präsident entgegennehmen kann, dafür hat er gesorgt: 2015 ließ sich der heute 71-Jährige vorzeitig für eine zweite Amtszeit von sieben Jahren statt der üblichen sechs bestätigen.

Der Hamburger Exzellenz-Antrag entwirft das Bild einer „Flagship University“, als solche sieht sich die Alma Mater neben der sehr viel kleineren TU Hamburg, der Hafen City Universität und den Fachhochschulen. „Flaggschiff“ auch für das gute Dutzend außeruniversitärer Forschungseinrichtungen, die es heute in der Hansestadt gibt – und für das künftige Wissenschaftskolleg nach dem Vorbild des 1981 gegründeten Berliner „Wiko“.

Maritime Wortspiele stehen einer Hafenstadt gut an, sie sollen den Exzellenzgutachtern ebenso sympathisch sein, wie den Hamburger Bürgern. „100 Jahre Wissenswerft“ steht auf dem Jubiläums-Fanschal. Für ein Postkartenmotiv wurde er sogar der ausgestopften Antje umgelegt, einem 2003 in Hagenbecks Tierpark gestorbenen Walross, das heute im Zoologischen Museum steht. Uni ahoi, möge sie auf Kurs bleiben.

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