Gesundheits-Apps versprechen viel, doch es gibt auch Risiken. Urs-Vito Albrecht hat Vor- und Nachteile für das Bundesgesundheitsministerium untersucht.

Gesundheits-Apps laufen auf Smartphones oder Fitnessarmbändern, ob sie den Gesundheitszustand allerdings verbessern, ist schwer…

Was hat sich seit Ihrer Studie für das Gesundheitsministerium von 2016 auf dem Markt der Gesundheits-Apps getan? Wie viele solcher Apps gibt es inzwischen?

Der Markt ist so dynamisch wie eh und je, insgesamt hat sich die Marktsituation kaum geändert. Eine genaue Zahl von Gesundheits-Apps zu benennen ist heute genauso schwer wie zu Zeiten unserer CHARISMHA-Studie. Die Zahlen schwanken nicht zuletzt da die Store-Betreiber auch immer wieder Aufräumaktionen starten, denen dann veraltete oder anderweitig problematische Apps zum Opfer fallen, andererseits auch ständig neue Apps auf den Markt drängen. Und nicht jede App, die in gesundheitsbezogenen Kategorien in den Stores der großen Mobilplattformen gelistet ist, kann auch als der Gesundheit dienlich angesehen werden.


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Wie viele Menschen in Deutschland nutzen denn Gesundheits-Apps?

Wie viele Menschen tatsächlich Gesundheits-Apps nutzen, ist schwer feststellbar, die Konzerne legen hierzu keine Zahlen offen. Auch muss zwischen „Herunterladen“ und „Tatsächlich-Nutzen“ unterschieden werden. Viele Apps verschwinden, wenn die erste Begeisterung abgeflaut ist und die App keinen wesentlichen Nutzen bringt, irgendwo in den Tiefen des Smartphones und werden dann oft nur noch sporadisch eingesetzt.

Urs-Vito Albrecht ist stellvertretender Direktor des hannoverschen Standorts des Peter L. Reichertz Instituts für Medizinische…

In Ihrer Studie vor drei Jahren kamen Sie zu dem Ergebnis, dass Gesundheits-Apps zwar ungemein viel Potenzial, aber wenig nachweisbaren Nutzen bieten. Ist das immer noch so?

Wesentlich verbessert hat sich die Situation nicht. Zwar steigt die Zahl der Publikationen zum Themenkomplex. Dennoch ist es hier grundsätzlich schwer, belastbare Evidenz nach hergebrachten Mustern zu generieren. Das liegt aber auch in der Natur von Apps & Co: Wo nicht-digitale Interventionen wie etwa Arzneimittel oft über längere Zeiträume und mit entsprechenden Studiendesigns untersucht werden können, ändern sich digitale Angebote oft so schnell, dass dann schon kaum noch gesagt werden kann, ob nun diese oder jene Änderung, die eventuell schon durch ein Betriebssystem-Update bedingt sein kann, einen positiven oder negativen Effekt ausgelöst hat. Auch eine in vielen Studien sonst übliche Verblindung ist im digitalen Umfeld schwer bis gar nicht umsetzbar.

Brauchen wir mehr Regulierung und verlässliche Nutzennachweise?

Mit der kommenden „Scharfschaltung“ der neuen Medizinprodukte-Regulation werden die Anforderungen an Gesundheits-Apps bereits verschärft: Sie führt dazu, dass wesentlich mehr Apps zum Medizinprodukt werden. Damit steigt der Aufwand für die Hersteller, die eine solche App auf den Markt bringen wollen. Es wird sich zeigen, ob hierdurch der Verbraucherschutz gestärkt wird. Ich befürchte auch, dass die Erwartungen an die Regulation zu hoch sind, da für eine qualitativ hochwertige App noch wesentlich mehr Aspekte berücksichtigt werden müssen als beispielsweise bei einem „Klasse I“-Produkt vorgegeben wird. Besser wäre es, Firmen zu fördern, die eine Philosophie vertreten, die im Vorhinein darauf ausgelegt ist, nur qualitativ einwandfreie Apps herzustellen. Das schließt Transparenz zu Chancen und Risiken des eigenen Produkts ein: damit Nutzerinnen und Nutzer eine begründete Entscheidung für den Einsatz der App am Patienten oder durch Patienten treffen können, müssen sie vom Hersteller fair über die App aufgeklärt werden. Jenseits von markigen Werbeversprechen.

Es gibt ja bereits diverse Gütesiegel. Wie hilfreich sind die denn aus Ihrer Sicht?

Es lässt sich oft nicht nachvollziehen, was in welcher Tiefe mit welchen Methoden geprüft wurde. Transparenz ist auch hier nicht Standard. Als Verbraucher lässt sich so kaum beurteilen, ob das Siegel tatsächlich etwas wert ist – oder nur ein gutes Gefühl vermitteln soll. Und selbst wenn die Prüfkriterien offen liegen, sagt das noch nichts aus über die Qualität der eigentlichen Prüfung aus, die zur Vergabe eines Siegels führen kann. Wenn auch schon etwas länger her, sei hier nur das Beispiel von Happtique genannt, einer Tochtergesellschaft der Greater New York Hospital Association, die ihr mit viel Elan und einem umfassenden Kriterienkatalog gerade erst gestartetes Zertifizierungsprogramm für Apps im Dezember 2013 wieder einstellte, nachdem bekannt geworden war, dass Apps, die Happtique als sicher zertifiziert hatte, eklatante Sicherheitsmängel aufwiesen. Außerdem ist es aufgrund der schieren Zahl schlicht nicht leistbar, alle verfügbaren Apps adäquaten Prüfungen zu unterziehen. Nach einem größeren Update kann ja alles schon wieder ganz anders aussehen. Dann wäre eine erneute Prüfung notwendig. Das ist bei der üblichen Updatehäufigkeit eine nicht zu bewältigende Aufgabe.

Was könnte den Nutzern dann helfen?

Weit erfolgversprechender scheint es, einerseits die App-Hersteller und App Store-Betreiber zu größtmöglicher Transparenz aufzufordern. Denn nur wo genügend Informationen zum Produkt bereitstehen, haben Anwender überhaupt eine faire Chance, sich selbst ein Bild von den Anwendungen zu machen, die sie interessieren und dann zu entscheiden, ob sie beispielsweise eine App einsetzen wollen oder nicht. Andererseits sollten aber auch die Anwender darüber aufgeklärt werden, worauf sie achten sollten, um sich einen grundlegenden Eindruck von einer App zu verschaffen. Hier könnten Politik, Fachgesellschaften oder Patientenverbände für Aufklärung sorgen oder Werkzeuge bereitstellen, an denen sich Anwender orientieren können.

Kann man denn als Laie zwischen guten und schlechten Gesundheits-Apps unterscheiden?

Eine tiefgreifende technische oder inhaltliche Prüfung wird kaum ein Laie selbstständig durchführen können. Dennoch können sich Anwender an einigen Eckpunkten orientieren. Sind beispielsweise Gefahrenpotenziale für die eigene Gesundheit, aber auch im sozialen oder finanziellen Bereich zu vermuten, sollte man Vorsicht walten lassen. Bereits die Beschreibungstexte in den App Stores können einen ersten Eindruck verschaffen: Werden hier transparent Hinweise auf den App-Zweck und mögliche Anwendungsfälle oder mögliche Risiken gegeben, spricht das eher für die App als wenn nur Werbeslogans aufgeführt werden. Ebenso sollte man sich soweit möglich über die Hersteller sowie die Finanzierung der App informieren. Dies kann dazu beitragen, mögliche Interessenkonflikte zu erkennen, die vielleicht auch Einfluss auf die Ausgestaltung von Inhalten und Funktionen haben können.

Muss man bei kostenlosen Apps besonders vorsichtig sein?

Da das Herstellen qualitativ hochwertiger Apps teuer ist – hier ist schnell das Äquivalent eines neuen Kleinwagens oder mehr fällig – kann es gerade bei kostenfreien Apps vorkommen, dass Anwender die Leistung durch Preisgabe ihrer Daten bezahlen. Um so etwas erkennen zu können, sollten Angaben zum Datenschutz und zum Hersteller im – hoffentlich vorhandenen – Impressum und der Datenschutzerklärung genau geprüft werden. Fehlen solche Angaben, oder sind sie offensichtlich unvollständig oder nicht zum Produkt passend, würde ich von einer Nutzung eher absehen. Stehen darüber hinaus Informationen dazu bereit, welche Quellen in die App eingeflossen sind oder auch darüber, ob und wenn ja welche Experten an der Erstellung der App beteiligt waren, können dies ebenfalls Indizien sein, die für eine App sprechen. Auch wenn man vielleicht nicht alle diese Informationen selbst versteht und meint, diese beurteilen zu können, geht es hier darum, dass erkennbar ist, ob der Anbieter mit offenen Karten spielt und die bereitstehenden Informationen nach eigenem Kenntnisstand plausibel scheinen.

Vieles auf diesem Markt ist Spielerei für Kontroll- und Datenfreaks. Haben Sie Beispiele für wirklich nutzbringende Gesundheits-Apps?

Nutzbringende Apps können solche sein, die Patienten allgemein beim Umgang mit ihrer Erkrankung helfen. Hierzu können Tagebuch-Apps zählen, die erkrankungsbezogene Daten einfach erfassen helfen und diese vielleicht auch auswerten und bei Über- oder Unterschreiten bestimmter Grenzwerte eine Warnung geben. Das kann einerseits helfen, gegenüber einem mit Papier und Stift geführten Tagebuch Zeit zu sparen oder auch ermöglichen, die digital vorhandenen Daten bei Bedarf schnell an behandelnde Ärzte weiterzuleiten. Gerade chronisch Kranke, die oft zwangsläufig mehr Zeit als ihnen lieb ist für ihre Erkrankung aufwenden müssen sind dankbar, wenn sie Zeit sparen und diese für andere Aktivitäten nutzen können. Hilfreich kann es auch sein, wenn Apps allgemein und niedrigschwellig Unterstützung bei Gesundheitsfragen bieten und so vielleicht auch Nutzergruppen angesprochen werden, die sonst nur schwer oder gar nicht zu erreichen gewesen wären. Auch das Schaffen von Kontaktmöglichkeiten durch eine App, sei es zu Behandlern oder anderen Betroffenen kann in diesem Zusammenhang hilfreich sein.

Wie groß ist das Risiko, dass persönliche Daten an Wirtschaft und Werbetreibende weitergegeben werden?

Die Gefahr ist da. Daten sind hier durchaus als Währung anzusehen. Nutzer sollten sich dieses Risikos durchaus bewusst sein. Setzen sie beispielsweise ein App ein, die kostenfrei verfügbar ist und dennoch viele tolle Funktionen und Inhalte bietet, steht zumindest zu vermuten, dass sie die App auf eine andere Weise bezahlen. Erst vor ein paar Tagen wurde beispielsweise eine Studie veröffentlicht, bei der Apps zu den Themen Depressionsbekämpfung und Raucherentwöhnung hinsichtlich ihres Datenweitergabe-Verhaltens und der eingesetzten Datenschutzpraktiken untersucht wurden. Darin wurden 36 top-platzierte Apps untersucht, die bei Depressionen und zur Raucherentwöhnung eingesetzt werden können und in öffentlichen App-Stores erhältlich sind. 29 davon gaben etwa Daten an Dienste von Facebook oder Google weiter, aber nur 12 dieser Apps legten dies auch in ihrer Datenschutzerklärung offen. In anderen Bereichen wird die Situation kaum besser sein.

Haben die Nutzer überhaupt eine Chance, Kontrolle über ihre Daten zu behalten?

Eine endgültige Sicherheit für Anwender wird es selbst dann nicht geben, wenn die App-Hersteller mit offenen Karten spielen beziehungsweise angeben, ob eine Datenweitergabe erfolgt. Dazu gibt es zu viele mögliche „Fehlerquellen“. Nutzer können aber selbst dazu beitragen, die Risiken zu minimieren, etwa indem sie sich vorab genauer informieren oder etwa auch darauf achten, welche Berechtigungen eine App anfordert und diese gegebenenfalls nicht erteilen. Ist beispielsweise der Zugriff auf das Adressbuch und die Positionsdaten legitim – bei einer Notfall-App durchaus denkbar, wenn diese bei Problemen Angehörige informieren soll – oder ist nicht erklärlich, wofür solche Zugriffe benötigt werden? Wer sich hierüber Gedanken macht und nicht einfach jede Berechtigungsanfrage ohne Nachdenken bestätigt hat schon viel gewonnen.

Das Gespräch führte Rainer Woratschka.

Urs-Vito Albrecht ist stellvertretender Direktor des hannoverschen Standorts des Peter L. Reichertz Instituts für Medizinische Informatik der Technischen Universität Braunschweig und der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH). Er leitet die multidisziplinäre Forschergruppe PLRI MedAppLab, die sich mit den ethisch-rechtlichen Rahmenbedingungen des medizinischen Einsatzes von Gesundheits-Apps auseinandersetzt und auch eigene Anwendungen entwickelt. Albrecht war federführend an der vom Bundesministerium für Gesundheit geförderten und im Jahr 2016 veröffentlichten Studie „Chancen und Risiken von Gesundheits-Apps“ (CHARISMHA) beteiligt.

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