Spinnefeind – und dennoch forschen Israelis und Araber künftig gemeinsam in einem Institut auf den Hügeln vor Amman.

Licht ins Dunkle. Friedliche Zusammenarbeit von Arabern und Israelis – im Forschungsinstitut „Sesame“ bei Amman, das am morgigen…

So grotesk die Idee bei ihrer Entstehung in den 1990er Jahren klang, so unglaublich mutet sie auch heute noch an: In der Nähe von Amman sollen jene Länder des Nahen Ostens gemeinsam einen Elektronenspeicherring errichten, die sich zerstrittener nicht gegenüberstehen könnten: Israel, Palästina, Jordanien, Ägypten, Iran, Türkei, Pakistan, Bahrain und Zypern. Jetzt ist das Märchen Realität: Nach zwanzig Jahren und vielen Rückschlägen wird die High-Tech-Maschine „Sesame“, deren Kern aus Berlin stammt, am morgigen Dienstag mit einem feierlichen Akt unter der Schirmherrschaft des jordanischen Königs Abdullah II endlich eröffnet.

Mit Eskorte zum Forschen

Wie einzigartig diese Zusammenarbeit ist, zeigt schon der Anreiseweg der israelischen Forscher zum Institut: Sie müssen dazu über den Jordan gehen – nicht im sprichwörtlichen Sinne, sondern buchstäblich. Normalerweise darf kein Israeli den Grenzübergang an der Allenby-Brücke über den Jordan überqueren, der in der Nähe des Toten Meeres mitten in der Wüste östlich von Jerusalem an der schwer bewachten Grenze zwischen Jordanien und Israel liegt. Nur die Forscher des Sesame-Projekts haben eine Ausnahmegenehmigung. Auf jordanischer Seite wird extra der Bus gewechselt und eine Polizeieskorte geleitet die Forscher zu einem 600 Meter hoch gelegenen, mit Olivenbaumplantagen bewachsenen Hügel bei Allan, 35 Kilometer nordwestlich von Amman. Dort steht in einer quadratischen Halle mit Sandsteinfassade der Beschleuniger „Sesame“ (Synchrotron Light and Experimental Sciences and Applications in the Middle East).

Der Grenzübergang zwischen Israel und Jordanien über die Allenby-Bridge über den Jordan.

Die Idee, im Nahen Osten einen Speicherring aufzubauen, entstand 1993 mit dem erklärten Ziel einer friedlichen Zusammenarbeit arabischer und israelischer Forscher. So wie das Kernforschungszentrum Cern in der Schweiz nach dem Zweiten Weltkrieg und durch den Kalten Krieg hindurch ein Ort des Miteinanders von Forschern aus einst gegnerischen Ländern war, so sollte auch Sesame über die gemeinsame und universale Sprache der Forschung die Menschen einander näherbringen, erinnert sich Ernst Weihreter, der bis zu seiner Pensionierung Beschleunigerphysiker am Berliner Speicherring Bessy II war und den Aufbau der Synchrotronanlage in Jordanien jahrelang unterstützte. „Bei gutem Wetter kann man die Kuppeln der Kirchen und Moscheen Jerusalems sehen.“

Zurückhaltendes Engagement der deutschen Regierung

Doch der Bau des so märchenhaft erdachten Sesame zog sich hin und drohte immer wieder an der politischen Realität zu scheitern. So engagierte sich die israelische Regierung anfangs nur zurückhaltend, denn israelische Forscher hatten ausreichend Zugang zu den besten Beschleunigern weltweit, etwa der European Synchrotron Radiation Facility in Grenoble. Diese Haltung habe sich auch die deutsche Regierung zu eigen gemacht, sagt Weihreter: „Man sprach sich weder dafür noch dagegen aus.“

1997 schlugen der Technische Direktor des deutschen Beschleunigerlabors Desy, der inzwischen verstorbene Gustav-Adolf Voss, und Herman Winick vom Stanford Linear Accelerator Center in den USA vor, die ausgediente Berliner Synchrotronanlage Bessy I zu spenden, die damals durch Bessy II ersetzt wurde. Dem stimmte die Bundesregierung schließlich zu. Der Gesichtsverlust, eine funktionierende Anlage lieber zu verschrotten als einem friedenstiftenden Forschungsprojekt zu spenden, wäre wohl zu groß gewesen, sagt Weihreter. Und auch wenn es in den Pressemitteilungen so klang, konnte trotz der Sachspende von großzügiger Unterstützung keine Rede sein: Sowohl den Abbau als auch den Transport der Anlage im Juni 2002 nach Jordanien und die Hilfe beim Wiederaufbau ließ sich Deutschland von der Unesco bezahlen.

Bestandteile des Berliner Synchrotronrings Bessy I (rot) in der Sesame-Anlage bei Amman.

Sonderlich begeistert von der Spende der Deutschen war Eliezer Rabinovici, Kernphysiker von der Jerusalemer Hebrew University und eine der treibenden Kräfte des Sesame-Projekts, zunächst nicht. Die alte Berliner Anlage allein hätte mit den heute knapp 60 Synchrotronen weltweit nicht konkurrieren können. Aber anstatt auf eine modernere Elektronenquelle zu warten, beschlossen die Forscher, die alte Bessy-Maschine „aufzumotzen“ – von rund 800 Megaelektronen-Volt auf 2,5 Gigaelektronen-Volt. „Man hat schnell realisiert, dass es fast unmöglich ist, gute Forscher und Projekte dorthin zu bekommen, wenn man eine Maschine hat, die in Berlin abgebaut wurde, weil sie ihren Dienst getan hat“, sagt Rolf Heuer, Präsident der Deutschen Physikalischen Gesellschaft und ab sofort Vorsitzender des Sesame-Rats.

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