Bis zu 12,7 Millionen Tonnen an Plastikabfällen landen nach einer neuen Hochrechnung jedes Jahr in den Ozeanen. Bis 2025 könnte es doppelt so viel sein.

Strandgut. An der Küste von Lanzarote hat die amerikanische Wissenschaftlerin Jenna Jambeck diesen Plastikmüll gefunden.

Eine Windböe treibt eine Plastiktüte über den Strand, bis eine große Welle sie unter sich begräbt und aufs Meer hinausspült. Damit ist der Spuk aber noch lange nicht beendet. Draußen auf hoher See sammelt das Plastik sich in gigantischen Wirbeln, die als schwimmende Müllkippen auf den Ozeanen kreisen. Die Weltmeere entpuppen sich so als gigantische Müllschlucker, die allein im Jahr 2010 mit 4,8 bis 12,7 Millionen Tonnen Plastiktüten, Einwegflaschen, Lebensmittelfolien und vielen weiteren Kunststoffprodukten gefüllt wurden. Das rechnen Jenna Jambeck von der Universität von Georgia im amerikanischen Athens und ihre Kollegen in der Zeitschrift „Science“ aus.

Damit schließen die Forscher eine Lücke. In den vergangenen Jahren hatten Wissenschaftler wie Marcus Eriksen vom Five Gyre Institute in Los Angeles und Martin Thiel von der Universidad Catolica del Norte im chilenischen Coquimbo zwar herausgefunden, dass riesige Mengen Plastikmüll in den Ozeanen schwimmen. Eine wissenschaftlich fundierte Schätzung über die Mengen an Kunststoff, die jedes Jahr ins Meer geschwemmt werden, gab es dagegen nicht.

Jambeck und ihre Kollegen konzentrierten sich auf die Menschen, die in 192 Ländern der Welt nicht weiter als 50 Kilometer von der Küste entfernt leben. Entsorgen sie Kunststoffe nicht ordnungsgemäß und lassen Plastiktüten oder Einwegflaschen offen herumliegen oder lagern sie nicht in abgedeckten Deponien, werden sie leicht vom Wind weggeweht oder von Niederschlägen in das nächste Gewässer geschwemmt. Nach einiger Zeit landet das Plastik dann im Meer.

13 Millionen Tonnen Kunststoff landen im Meer

Für jedes Land ermittelten die Forscher dann, wie viele Menschen weniger als 50 Kilometer von der Küste entfernt wohnen. Wie viel Abfall produziert jeder dieser Menschen und wie groß ist der Plastik-Anteil? Und vor allem, welcher Anteil des Kunststoffmülls wird nicht richtig deponiert und könnte daher im Meer landen? Für diese Regionen kommen die Forscher so auf 275 Millionen Tonnen Plastikmüll im Jahr 2010. Dieser sollte in einen Konvoi von fast 30 Millionen Mülllastern passen, der Stoßstange an Stoßstange in einer rund 300 000 Kilometer langen Schlange mehr als sieben Mal um den Äquator reichen würde. Ungefähr fünf bis 13 Millionen Tonnen davon landen schließlich im Meer.

Weil die Menge an Abfall und damit auch an Plastikmüll mit dem ökonomischen Wachstum eines Landes zunimmt und die Wirtschaft vor allem in den bevölkerungsreichen Ländern Asiens boomt, könnte sich diese Menge bis 2025 verdoppeln, schätzen die Forscher. Offensichtlich schießt eine Kunststoff-Lawine in die Weltmeere, die jedes Jahr größer wird.

In den Ozeanen sammelt sich daher anscheinend jedes Jahr mehr Müll an. Wie viel Plastik bereits auf den Wellen schwappt, haben Marcus Eriksen und Kollegen im Dezember 2014 im Fachblatt „Plos One“ ausgerechnet. Zwischen 2007 und 2013 haben die Forscher dazu in mehr als 1500 Gebieten im Pazifik und im Indischen Ozean, im Atlantik und in den Polarmeeren, aber auch im Mittelmeer ihre Spezialnetze ausgeworfen. Deren Maschen sind gerade einmal einen Drittel Millimeter groß und filtern damit auch kleine Teilchen aus dem Wasser.

Die meisten kleinsten Plastikteile fehlten in den Netzen der Forscher

Wo auch immer die Forscher Abfall fischten, holten sie diesen Plastikmüll aus dem Wasser. Allerdings in unterschiedlichen Mengen. Besonders viel fanden sie in fünf gigantischen Wirbeln im Nord- und Südpazifik, im Nord- und Südatlantik sowie im Indischen Ozean. Diese schwimmenden Mülldeponien sind bereits seit einigen Jahren bekannt.

Die Ergebnisse dieser Plastik-Fischerei fütterten die Forscher in ein Computerprogramm, das daraus eine Menge von knapp 270 000 Tonnen Plastikmüll errechnet hat, der in den Weltmeeren treibt. „Insgesamt würde in den Ozeanen demnach also erheblich weniger Plastik schwimmen, als jedes Jahr dazukommen sollte“, bringt Martin Thiel beide innerhalb von nur zwei Monaten erschienenen Artikel auf einen Nenner. Damit bestätigen Jenna Jambeck und ihr Team einen Verdacht, den Thiel und Eriksen bereits im Dezember 2014 äußerten. Bei ihren Fischzügen hatten die Forscher nämlich erstmals auch größeren Plastikmüll auf allen Ozeanen erfasst. Der aber lebt nicht lange. So zerschlagen die ständigen Wellen das Plastik in immer kleinere Teilchen, das ultraviolette Licht der Sonne zerbröselt den Kunststoff immer weiter. Bald sind die Teilchen so klein, dass viele nur noch unter einem Mikroskop sichtbar sind.

Als die Forscher ausrechneten, wie viele solche kleinen Partikel aus größeren Kunststoffteilen entstanden sein sollten, erlebten sie eine Überraschung: „Wir hatten nicht einmal ein Prozent der Mini-Plastik-Teilchen aus den Meeren gefischt, die nach diesen Berechnungen entstanden sein sollten“, sagt Thiel. Wo sind die Mini-Plastik-Teilchen? Der Meeresforscher hat einen Verdacht: Je kleiner die Partikel werden, umso leichter können Organismen sie aufnehmen. Vielleicht steckt ein erheblicher Teil der verschwundenen Plastikteilchen im Plankton, in Fischen und anderen Tieren der Ozeane.

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