So mancher Urlauber ärgert sich über angeschwemmtes Seegras am Strand. Doch für das Ökosystem sind die Unterwasserpflanzen unentbehrlich – und auch für das Klima.

Grasplantage. So, wie die Regenwälder schwinden, so geht auch das Seegras in den Weltmeeren zurück. Forscher versuchen es wieder…

Wie ein Meer im Meer wogt das Gras im Rhythmus der Bodenströmung. Plötzlich erscheint über der Unterwasserwiese eine Taucherin, die Meeresforscherin Inés Mazarrasa. Zehn Meter unter der Wasseroberfläche an der Nordostküste Mallorcas taucht sie in eine Seegraswiese ein. Ringelbrassen, Meerbarben und Seepferdchen weichen ihr aus und verstecken sich in den Pflanzenteppichen.

Seit dem Jahr 2000 untersuchen Mazarrasa und ihre Kollegen auf dem Meeresboden jährlich dieselben Seegraswiesen. Dabei zählen sie jeden einzelnen Pflanzenstrunk. „Im letzten Jahr wuchsen hier noch 15 Prozent mehr Pflanzen“, erzählt die Wissenschaftlerin, nachdem sie wieder zurück an Bord ihres Forschungsschiffes sitzt. Die Forscher haben herausgefunden, dass das Meeresgewächs warmes Wasser schlecht verträgt. Und aufgrund des Klimawandels steigt die Temperatur seit Jahren stetig.

Klimaschützer Seegras

Die Bestände von Seegras, das in allen Meeren der Erde in Küstennähe wächst, sind weltweit bedroht. Nicht nur die Wassertemperatur, auch die Überdüngung der Ozeane machen den Pflanzen zu schaffen. Naturschützer kämpfen um den Erhalt, denn das Unterwassergras ist nicht nur Lebensraum für viele Meerestiere und reinigt das Wasser von Schadstoffen, sondern wirkt ähnlich wie die Regenwälder auch der Klimaerwärmung entgegen.

Tatsächlich können Seegraswiesen große Mengen des klimaschädlichen Kohlendioxids speichern. Ein Hektar Seegraswiese bindet sogar deutlich größere Mengen Kohlendioxid als ein Hektar amazonischer Regenwald. Die Pflanze nimmt das Treibhausgas aus dem Wasser auf, um Fotosynthese zu betreiben. Infolgedessen sinkt die Kohlendioxid-Konzentration im Wasser, so dass das Meer das Gas aus der Luft aufnimmt. Das ist pro Jahr weltweit etwa so viel, wie Deutschland in sechs Monaten emittiert.


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Meere wären ohne Seegras eine „trübe Brühe“

Das in Form von Kohlenstoffverbindungen von der Pflanze aufgenommene Kohlendioxid bleibt auch nach deren Absterben im Meeresboden fest gebunden. Das geschieht, weil alte Pflanzenteile von Sediment überdeckt werden. Damit der Kohlenstoff der Erdatmosphäre dauerhaft entzogen bleibt, müssen die Seegraswiesen allerdings gesund bleiben. Stirbt die Pflanze, lockert sich der Meeresboden, und der Kohlenstoff kann in Form von Kohlendioxid wieder in die Luft entweichen.

Und genau das ist derzeit der Fall, denn weltweit gehen die Seegrasbestände jährlich um drei Prozent zurück. In einer 2013 veröffentlichten Studie haben Inés Mazarrasa und andere Wissenschaftler ausgerechnet, dass die Menge des Kohlendioxids, die dabei jährlich entweicht, dreimal so groß ist wie die Menge, die von Pflanzen pro Jahr gespeichert wird.

Carlos Duarte vom Mittelmeer-Institut der Balearen auf Mallorca leitet die Forschungsgruppe, für die Inés Mazarrasa tauchen geht. Er hat errechnet, dass die Zeit für das Mittelmeer-Seegras bereits 2060 abgelaufen sein dürfte. „Ohne Seegras wird das Meer einer trüben Brühe gleichen“, sagt er.

Aufforstung unter Wasser

Nicht überall ist das Seegras so bedroht wie im Mittelmeer. In der Nord- und Ostsee zum Beispiel waren die Bestände in einigen Gebieten zwischen 60 und 80 Prozent zurückgegangen. Durch strengere Auflagen in der Landwirtschaft und leistungsstärkere Klärwerke, die die Wasserqualität verbessern, erholen sich die Pflanzen vielerorts langsam wieder. Auch rund um die US-amerikanische Küste sind die Seegrasbestände jahrzehntelang geschrumpft – doch auch dort ist aufgrund besserer Klärwerke das Wasser sauberer geworden. Eine gute Voraussetzung für „Aufforstung“ unter Wasser.

An der Ostküste der USA gelang es Wissenschaftlern, Seegräser zu pflanzen, beispielsweise in Rhode Island und in der Chesapeake Bucht bei Baltimore, die der Ostsee ähnelt und deshalb als ihre kleine Schwester gilt.

Unterwassergras spart Milliarden

Auch Carlos Duarte erforscht in letzter Zeit verstärkt die Aufforstung von Seegraswiesen. Dabei kommt die Ökonomie nicht zu kurz. Duarte möchte darauf hinweisen, dass die Wasserpflanzen, weil sie das Klima regulieren, ein wichtiger Dienstleister sind. Er beziffert den wirtschaftlichen Nutzen der Unterwasserteppiche sogar: „Wir vergleichen die Kosten der Aufforstung mit dem ökonomischen Wert, den es hat, Kohlendioxid aus der Atmosphäre zu holen und im Meeresboden einzulagern oder dort eingelagert zu lassen“, erklärt der Wissenschaftler. So führen beispielsweise höhere Kohlendioxid-Werte in der Luft zu langen Hitzeperioden, die Ernteausfälle und somit Umsatzeinbrüche verursachen. Solche Verluste entsprechen laut Duartes Mitarbeiterin Núria Marbà zwei Cent pro Kilo Kohlendioxid in der Luft. Die langfristige Speicherung von Kohlenstoff im Meeresboden, die Seegraswiesen weltweit leisten, bekommt auf diese Weise einen bezifferbaren Marktwert. Er beträgt bis zu 10 Milliarden Euro pro Jahr.

Seegras wächst nur langsam nach

Überall auf der Welt versuchen Wissenschaftler, Seegraswiesen wieder anzupflanzen. Doch an manchen Stellen im Wasser hat die Bodenqualität durch den Verlust des Grases schon so nachgelassen, dass dort inzwischen jegliches Pflanzenwachstum unmöglich geworden ist. Deswegen liegt die weltweite Erfolgsquote der Aufforstung von Seegraswiesen nur bei 30 Prozent.

Das Seegras des Mittelmeeres kann nicht einfach wieder aufgeforstet werden. Posidonia oceanica ist die Seegrasart, die am langsamsten nachwächst. Selbst kleine Löcher im Pflanzenteppich bleiben Hunderte von Jahren bestehen. Deshalb sind die Gesetze zum Schutz des Seegrases nirgendwo strenger als am Mittelmeer: Beschädigungen der Wasserpflanze, etwa durch ankernde Schiffe oder die Entsorgung von Müll in Seegrasgebieten, werden mit Geldstrafen von bis zu 450 000 Euro geahndet. Obwohl die Einhaltung der Gesetze auch kontrolliert wird, den Rückgang des Seegrases verhindert das nicht. Denn sie lösen nicht das globale Problem des hohen Kohlendioxid-Ausstoßes und Klimawandels, sagt Duarte: „Nur wenn wir es schaffen, unsere Lebensgewohnheiten zu verändern und weniger Kohlendioxid zu produzieren, gibt es Hoffnung für das Seegras.“

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