Ein 100 Kilometer langer Teilchenbeschleuniger soll unter dem Genfer See entstehen – wenn die Europäische Organisation für Kernforschung das Geld aufbringt.

Die Teilchen, die künftig in dem geplanten Future Circular Collider (FCC) kreisen sollen, werden fast die vierfache Strecke durch…

Physiker am größten Teilchenbeschleuniger der Welt planen ein Zukunftsprojekt mit gigantischen Ausmaßen – und Kosten. Falls ihre Pläne umgesetzt werden, entsteht bei der Europäischen Organisation für Kernforschung (CERN) im französisch-schweizerischen Grenzgebiet bei Genf ein 100 Kilometer langer ringförmiger Tunnel teils unter dem Genfer See. In dem Beschleuniger Future-Circular Collider (FCC), für den insgesamt 24 Milliarden Euro veranschlagt sind, würden ab Ende der 30er Jahre Elektronen und Positronen auf Kollisionskurs gebracht. Zum Vergleich: Der bestehende Teilchenbeschleuniger LHC hat einen 27 Kilometer langen Tunnel.

Im Tunnel des FCC werden ähnliche Apparaturen die Teilchen auf die Kreisbahn zwingen wie im derzeit wegen Wartungsarbeiten…

Das Projekt, das schon seit Jahren diskutiert wird, „würde sich im Genfer Becken gut realisieren lassen“, sagte Studienleiter Michael Benedikt der Deutschen Presse-Agentur zur Veröffentlichung der Konzeptstudie in Genf. Die existierenden Anlagen könnten weiter genutzt werden, etwa als Vorbeschleuniger.

Auch wenn der FCC „neue und gewaltige Herausforderungen“ mitbringen würde, würde er von der Expertise am Cern und der vorhandenen Infrastruktur, die über mehr als ein halbes Jahrhundert entwickelt wurde, sehr stark profitieren, meint Fabiola Gianotti, Generaldirektorin des Cern.

 Der bestehende LHC-Beschleuniger dürfte noch 20 Jahre laufen, sagte Benedikt. Dort waren 2012 die Higgs-Teilchen nachgewiesen worden – eine Sensation in der Physik, für die es 2013 den Nobelpreis gab. Mit dem neuen Beschleuniger könnte die Interaktion dieser Teilchen genauer untersucht werden.

Der LHC wurde im Dezember für zweijährige Wartungsarbeiten abgeschaltet. Parallel wird bereits an einem Ausbau mit stärkeren Magneten gearbeitet, dem sogenannten HiLumi LHC-Projekt. Es soll 2025 fertig sein. Die Physiker wollen damit die Zahl der Protonenkollisionen pro Sekunde von einer auf fünf Milliarden erhöhen.

Hundertausendmal leistungsfähiger

In dem neuen Tunnel des FCC sollen Elektronen und Positronen zur Kollision gebracht werden. Der FCC wäre dabei bis zu 100.000 mal leistungsfähiger als bisherige Anlagen am CERN, so Benedikt. Nach 15 Jahren Betrieb könne die Maschine durch einen Protonen-Beschleuniger ersetzt werden, der sowohl bei Kollisionsenergie als auch bei der Anzahl der Kollisionen etwa zehn mal leistungsfähiger als HiLumi wäre. Der Protonenbeschleuniger würde denselben 100 Kilometer langen Tunnel nutzen. Damit könnten die Cern-Physiker Erkenntnisse über die ersten Nanosekunden nach dem Urknall und die Entstehung des Universums gewinnen – oder bislang unbekannte Teilchen nachweisen.

Die immensen Ausmaße des Rings hätten für solche Vorhaben einen entscheidenden Vorteil: Da der Krümmungsgrad sehr gering ist können viel größere Geschwindigkeiten erreicht werden, ohne dass befürchtet werden muss, dass die Teilchen zur Seite davonfliegen.

Diesen Vorteil hätte auch ein linearer Teilchenbeschleuniger, wie er ebenfalls am Cern diskutiert wird. Unter dem Namen CLIC läuft ein Projekt, welches vor allem zum Ziel hat, bereits entdeckte Elementarteilchen besser zu verstehen. Auch in Japan gibt es solche Pläne – allerdings wurden sie im Dezember von einflussreichen japanischen Physikern kritisiert. Die zu erwartenden wissenschaftlichen Erkenntnisse würden die enormen Kosten nicht aufwiegen. Trotz internationaler Beteiligung müsste Japan als Trägerland einen Großteil der geschätzten mehr als sechs Milliarden Dollar übernehmen.

Vom Tisch ist der Beschleuniger aber nicht. Es wird erwartet, dass die japanische Regierung am 7. März eine Entscheidung trifft – die Wissenschaftler haben nur eine beratende Funktion. Diese Entscheidung hat auch eine Auswirkung auf die Zukunft des FCC. „Das hängt alles zusammen“, erklärt Thomas Lohse, Professor für Physik an der Humboldt-Universität. In der Vergangenheit habe es auch Großprojekte gegeben, die parallel laufen konnten, doch bei den aktuell veranschlagten Kosten sei das vermutlich nicht möglich. „Wenn die Entscheidung für den Linearkollider in Japan fällt, dann wird wohl erst dort – und zwar relativ bald – gebaut“, sagt Lohse. „Über den FCC kann man dann immer noch nachdenken.“ Denn der habe die größte Energie und damit das größte Entdeckungspotential. Wenn man ihn später baute, könnte man das Design noch auf Dinge anpassen, die möglicherweise in der Zwischenzeit entdeckt wurden. „Doch solange man noch keine genauen Vorstellungen von der Physik hat, weiß man auch nicht, welche Maschine sich für die Forschung am besten eignet.“

Entscheidung über den FCC hängt von den 22 Mitgliedsstaaten des Cern ab

Unter anderem zu solchen Fragen nach der Reihenfolge wichtiger Großprojekte wollen Wissenschaftler aus ganz Europa bis 2020 Empfehlungen geben. Deutschland hat dazu im Dezember seine Position deutlich gemacht: Zunächst sollte ein möglichst hochenergetischer Linearkollider gebaut werden. Wenn sich die japanische Regierung dazu entscheidet, diesen zu bauen, dann wäre das die von deutschen Physikern favorisierte Variante. „Der FCC steht in der zweiten Reihe“, so Lohser.

Im Rahmen der „europäischen Strategie für Teilchenphysik“ haben auch die Cern- Physiker ihr Konzept vorgelegt. Über fünf Jahre haben sie in einer internationalen Kollaboration daran gearbeitet, mehr als 1300 Menschen waren beteiligt.  

Ob der neue Teilchenbeschleuniger im Cern tatsächlich gebaut wird, müssen die 22 Mitgliedsstaaten des Cern entscheiden. Das Projekt würde in der ersten Phase neun Milliarden Euro kosten. Der Preis für den Protonenbeschleuniger, der nach 2055 in Betrieb gehen würde, liegt bei zusätzlich 15 Milliarden Euro.  (mit dpa)

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