Die höchsten deutschen Richter sollten heute entscheiden, doch ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts in Erfurt bleibt aus!

Der Fall, in dem grundlegend entschieden werden sollte, ob private Unternehmen ihren Angestellten das Tragen von Kopftüchern verbieten dürfen, wird an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) überstellt.

▶︎ Worum geht es?

Es geht um eine junge türkischstämmige Muslima (35) aus dem Raum Nürnberg, die seit 2002 bei der Drogeriemarktkette Müller als Verkäuferin angestellt war. Nachdem sie 2016 aus der Elternzeit zurückkehrte, trug sie plötzlich Kopftuch. Die Leiterin der Filiale reagierte prompt: Mit Kopftuch könne sie nicht mehr als Kundenberaterin oder an der Kasse arbeiten. Sie habe „ohne auffällige großflächige religiöse, politische und sonstige weltanschauliche Zeichen am Arbeitsplatz zu erscheinen und ihre Arbeit aufzunehmen“, hieß es. Der Fall ging durch die Instanzen. Zweimal bekam die Verkäuferin vor dem Arbeitsgericht Nürnberg Recht. Der Fall sollte aber bei den höchsten Richtern des Bundesarbeitsgerichts weiterbehandelt werden.

  • Kopftuch-Debatte

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  • 5159 Euro Entschädigung

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▶︎ Wieso jetzt Europarecht?

Während nach der bisherigen deutschen Rechtsprechung ein pauschales Kopftuchverbot unzulässig ist, hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) 2017 entschieden, dass ein allgemeines internes Verbot von politischen oder religiöser Symbolen am Arbeitsplatz keine unmittelbare Diskriminierung darstellt. Der Wunsch von Arbeitgebern, ihren Kunden ein Bild der Neutralität zu vermitteln, gehöre zur unternehmerischen Freiheit, so die Richter in Luxemburg.

▶︎ Warum rief die Frau, die seit 2002 bei der Drogeriekette arbeitet, die Gerichte an?

Sie sieht sich durch das Kopftuchverbot diskriminiert – also einen Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgesetz sowie das in der Verfassung verbriefte Grundrecht auf Religionsfreiheit. Ihr Anwalt verweist auf die bisherige Rechtsprechung in Deutschland, wonach ein Kopftuchverbot am Arbeitsplatz nur gerechtfertigt sein kann, wenn sonst eine konkrete Gefahr für den Betriebsfrieden besteht oder es wirtschaftliche Einbußen durch abspringende Kunden gibt. Solche Störungen habe die Drogeriemarktkette aber nicht nachgewiesen.

▶︎ Welche Kopftuchurteile gab es bereits?

2003: Nach jahrelangem Rechtsstreit entscheidet das Bundesverfassungsgericht im Fall der Lehrerin Fereshta Ludin, dass einer muslimischen Lehrerin nicht ohne ein konkretes Gesetz verboten werden darf, im Unterricht ein Kopftuch zu tragen. Damit sind die Länderparlamente als Gesetzgeber am Zuge und erlassen in den folgenden Jahren unterschiedliche Regelungen.

2003: Das Bundesverfassungsgericht bestätigt das Urteil des Bundesarbeitsgerichts in Erfurt von 2002, nach dem das Tragen eines Kopftuchs aus religiösen Gründen an einem nicht-staatlichen Arbeitsplatz kein ausreichender Kündigungsgrund ist.

2004: Baden-Württemberg verankert als erstes Bundesland das Kopftuchverbot an öffentlichen Schulen im Schulgesetz. Im Juni bestätigt das Bundesverwaltungsgericht die Rechtmäßigkeit.

2015: Das Bundesverfassungsgericht kippt ein pauschales Kopftuchverbot für muslimische Lehrerinnen in öffentlichen Schulen. Ein Verbot sei nur dann möglich, wenn das Tragen der muslimischen Kopfbedeckung eine konkrete Gefahr für den Schulfrieden bedeute.

2017: Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg folgt dieser Argumentation im Falle der Entschädigungsklage einer abgelehnten muslimischen Lehramtsbewerberin mit Kopftuch gegen das Land Berlin. Dessen Neutralitätsgesetz, das auffällige religiöse Kleidung bei staatlichen Bediensteten verbietet, sei nur bei einer konkreten Gefährdung des Schulfriedens anzuwenden.

2017: Baden-Württemberg verabschiedet als erstes Bundesland ein Gesetz zur Neutralität von Richtern und Staatsanwälten. Es verbietet das Tragen religiös und politisch geprägter Kleidungsstücke im Gericht. Betroffen sind hauptamtliche Richter, Staatsanwälte, Rechtsreferendare und auch Rechtspfleger, wenn diese richterliche Aufgaben ausüben. Nicht betroffen sind Schöffen und ehrenamtliche Richter.

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