Im Sommer buhlen die Balkanstaaten um Touristen. Doch zur kalten Jahreszeit verwandeln sich ihre Metropolen in gefährliche Smogfallen.

Eine Stadt wird unsichtbar: Im Winter herrscht dicker Smog über Sarajevo.

511 Meter hoch gelegen und von bewaldeten Bergriesen umgeben – aber trotzdem kein Luftkurort: Zum wiederholten Mal fiel Bosniens Hauptstadt Sarajevo zu Monatsbeginn der zweifelhafte Titel der schmutzigsten Stadt der Welt zu. Mit einem Luftqualitätsindex (AQI) von bis zu 380 lag die einstige Olympiastadt drei Tage lang selbst vor berüchtigten Smogmetropolen wie Peking oder Neu-Delhi.

Eine Ausnahme ist die 520 000-Einwohner-Metropole trotz ihrer Kessellage in Südosteuropa keineswegs. Zwar pflegen alle Balkanstaaten mit ihren unbestrittenen Naturschönheiten um Touristen zu buhlen. Doch ob Kosovos Hauptstadt Pristina, das montenegrinische Pljevlja, das bosnische Tuzla oder die mazedonischen Smoghochburgen Skopje, Tetovo und Bitola: Zur kalten Jahreszeit verwandeln sich die Balkanstädte in gefährliche Smogfallen. Die Weltgesundheitsorganisation listete 2017 gleich fünf ex-jugoslawische Metropolen unter den ersten zehn der tristen Rangliste von Europas Städten mit der größten Luftverschmutzung auf.

Filter- und Entschwefelungsanlagen sind mangelhaft

Vor allem die verstärkten Heizanstrengungen sind es, die den Bewohnern der Balkanstädte trotz geschwundener Schwerindustrie im Winter den Atem rauben. Braunkohle- und Holzöfen in schlecht isolierten Häusern verdüstern den Himmel genauso wie die veralteten Heizkraftwerke für die Fernwärme: Manche der Dreckschleudern werden selbst noch immer mit dem Erdölrückstand Masut betrieben. Mangelhafte Filter- und Entschweflungsanlagen zeichnen auch die betagten Kohlekraftwerke der Region aus. Laut einem vor Jahresfrist in Brüssel veröffentlichten Rapport pusten die 16Braunkohlewerke der ex-jugoslawischen EU-Anwärter Bosnien, Kosovo, Mazedonien, Montenegro und Serbien jährlich doppelt soviel Ultrafeinstaub wie die 296 Kohlekraftwerke aller 28EU-Mitglieder in den Balkanhimmel.

Grünflächen verschwinden, Hochhäuser wachsen

Zu den überholungsbedürftigen Kraftwerken gesellt sich ein nicht minder betagter Fuhrpark, der durch verstärkte Gebrauchtwagenimporte aus Westeuropa kaum nachhaltig erneuert wird: Durch Sarajevo knattern selbst noch Golf- und Jetta-Veteranen, die vor dem Bosnienkrieg (1992-1995) in dem einstigen VW-Werk der Olympiastadt montiert wurden.

Neben den schwindenden Anteil von Grünflächen machen Stadtplaner und Architekten auch den planlosen Baudrang für die Winterplage der dicken Dunstglocken verantwortlich. Während früher kalte Winterwinde das in einem langgestreckten Talkessel gelegene Sarajevo relativ ungestört durchwehen konnte, hemmen nun zu allem Überfluss immer mehr an den Ufern der Miljacka aus den Boden gestampfte Hochhäuser und Wohnblocks den Luftaustausch.

Eine hohe Zahl chronischer Lungenerkrankungen wird ebenfalls in allen Smogmetropolen der Region registriert. Eher hilflos wirkt die Ankündigung der mazedonischen Regierung, in diesem Winter 43000 Atemmasken an chronisch Kranke zu verteilen. Doch schlecht Luft wird mit Masken kaum sauberer. Und der über den Städten hängende Smogdunst lässt sich auch mit den bei Familien mit Kindern immer populäreren Luftfiltern kaum lichten.

In Mazedonien sterben jährlich 1350 Menschen durch den Dunst

Allein im kleinen Mazedonien fordert der dicke Dunst nach Schätzung der Weltbank jährlich 1350 Menschenleben. Luftverschmutzung tötet – und kostet nicht nur viele Menschenleben, sondern auch sehr viel Geld. Unterschiedlichen Studien der WHO und der Weltbank zu folge verlieren die Staaten des Westbalkan durch die Luftverschmutzung jährlich zwischen vier und 20 Prozent ihres Sozialprodukts durch entfallene Arbeits- und Schultage sowie erhöhter Transport- und Gesundheitskosten.

Zwar künden die Würdenträger der Region alljährlich im Winter energisch eine Reduzierung des Autoverkehrs, verschärfte Emmissionsauflagen sowie verbesserte Filteranlagen der Kraftwerke und Fabriken an. Doch Umweltthemen haben bei den Politikern der verarmten Staaten des Westbalkans selbst bei offensichtlicher Gesundheitsgefährdung ihrer Schutzbefohlenen allenfalls saisonale Konjunktur. Spätestens mit dem Einsetzen des Frühlings und dem Aufreißen der Dunstwolkendecken sind die im Winter verkündeten Aktionspläne und flammenden Appelle zur Reduzierung des Schadstoffausstoßes wieder vergessen.

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