Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen: „Ich glaube, wir müssen jetzt neue Lösungen finden“, sagte die CDU-Politikerin in Litauen. (Quelle: Ints Kalnins/Reuters)

Die einen wollen alle Atomwaffen verbannen, die anderen schließen die Stationierung neuer Raketen nicht aus. Deutschland stolpert in eine Debatte über atomare Aufrüstung, die an dunkle Zeiten erinnert.

Es ist ein ziemlich trostloser, verschneiter Tag im litauischen Rukla, der so gar nicht zu der feierlichen Zeremonie der dort stationierten Nato-Kampftruppe passen mag. Ein paar hundert Soldaten aus neun Ländern sind auf dem Appellplatz der Kaserne aufmarschiert, um dem anstehenden Kommandowechsel einen würdigen Rahmen zu geben. Im Hintergrund ragen die mächtigen Rohre von Kampfpanzern und Artilleriegeschützen hervor. Auf beiden Seiten des Rednerpults haben sie Sturmgewehre aufgestellt.

Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen ist am Morgen mit einem Militärtransporter vom Typ A400M nach Litauen geflogen, um der seit zwei Jahren dort stationierten Bundeswehrtruppe Mut für ihren Auftrag zu machen: Schutz des kleinen Bündnispartners vor der Bedrohung durch einen immer bedrohlicher wirkenden Nachbarn. „Wir antworten auf Russlands aggressive Politik“, sagt die CDU-Politikerin. „Unser Engagement hier ist eine unserer Prioritäten.“ Es werde so lange dauern wie nötig.

Spannungen mit Russland auf dem Höhepunkt

Nach den Ereignissen des Wochenendes ist die Zeremonie in Rukla mehr als nur Routine. Mit der Aufkündigung des INF-Abrüstungsvertrags sind die Spannungen zwischen Russland und der Nato auf einem neuen Höhepunkt angelangt. Jetzt geht es nicht mehr darum, ob die Stationierung von ein paar hundert Soldaten mit ein paar Dutzend Panzern an die Ostflanke der Nato vertretbar ist. Eine ganz andere Rüstungsdebatte hat bereits begonnen, die weitaus heikler ist. Es geht darum, ob am Ende in Europa wieder Raketen mit atomaren Sprengköpfen aufgestellt werden sollen.

In Deutschland dürfte diese Diskussion in den kommenden Wochen besonders kontrovers und emotional geführt werden – aus historischen Gründen. Die Frontlinie des Kalten Krieges verlief bis vor 30 Jahren mitten durch das damals noch geteilte Land. In der Bundesrepublik gingen Anfang der 1980er Jahre Hunderttausende gegen die Stationierung von Mittelstreckenraketen vom Typ Pershing II auf die Straße. Es gab die größten Demonstrationen der Nachkriegszeit.

Deutschland in drei Lager gespalten

Mit dem Fall der Mauer, der Wiedervereinigung und dem Abzug des größten Teils der Atomwaffen aus Deutschland schien das Thema dann aber wieder vergessen. Man wollte auch gar nichts mehr davon wissen. Kalter Krieg? War einmal. Abgehakt. Die 20 Atombomben, die die Amerikanern auf dem windigen Fliegerhorst Büchel in der Vulkaneifel zurückließen, registrierte kaum noch jemand.

Und jetzt soll alles wieder von vorne losgehen? Zurück in die Zukunft? Zeitreise in die 80er? Während die Nato sich alle Mühe gibt, sich in dem Streit nicht auseinanderdividieren zu lassen, gibt es in Deutschland eine kontroverse Debatte mit drei Lagern:

  • Mittelstreckenraketen, nein Danke: Außenminister Heiko Maas war in den 80er Jahren als Teenager zwar noch nicht bei den Demonstrationen gegen atomare Aufrüstung dabei. Das hat ihn aber trotzdem nicht davon abgehalten, sich noch vor der Aufkündigung des INF-Vertrags klar zu positionieren: „Eine Stationierung neuer Mittelstreckenraketen würde in Deutschland auf breiten Widerstand stoßen“, sagte Maas schon im Dezember.
  • Alle Optionen auf den Tisch: In der CDU sorgt die Position von Maas für Unmut. Unionsfraktionsvize Johann David Wadephul nannte die Festlegung des SPD-Außenministers „grundlegend falsch“. „Das untergräbt die Geschlossenheit des Bündnisses und schwächt damit die Verhandlungsposition gegenüber Russland.“ Es dürfe keinen „deutschen Sonderweg“ geben. Ähnlich äußerte sich CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak.
  • Atomwaffen raus aus Deutschland: Und dann gibt es noch diejenigen, denen die Ablehnung einer atomaren Aufrüstung nicht weit genug geht. Grüne und Linke fordern ein klares Zeichen in die andere Richtung und verlangen den Abzug aller in Deutschland verbliebenen Atombomben. Zudem verlangen sie einen Beitritt Deutschlands zu dem von mehr als zwei Dritteln der UN-Mitgliedstaaten beschlossenen Verbot aller Atomwaffen weltweit. Die Bundesregierung lehnt das zusammen mit allen anderen Nato-Staaten bisher ab. Aus ihrer Sicht macht ein Verbot nur Sinn, wenn alle Atommächte sich daran halten. Es ist aber keine einzige dem Verbotsvertrag beigetreten.

Die Friedensbewegung könnte jedenfalls durch die Debatte über den INF-Vertrag eine Renaissance erleben. In Büchel, wo die US-Atombomben in Bunkern lagern, fanden sich zu Protestaktionen in den vergangenen Jahren allenfalls ein paar Dutzend Demonstranten ein. Das könnte sich ändern. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) hat bereits indirekt dazu aufgerufen, gegen Aufrüstungsbestrebungen auf die Straße zu gehen: „Ein neues Wettrüsten muss unbedingt verhindert werden. Wahrscheinlich brauchen wir eine neue Friedensbewegung.“

„Die Welt hat sich verändert“

Das Verständnis der Verbündeten im Baltikum und in Polen für die deutsche Diskussion dürfte sehr begrenzt sein. Von Rukla sind es nur 100 Kilometer bis nach Russland. Im Kalingrader Gebiet haben die Russen Raketen stationiert, die jedes Ziel in dem Baltenstaat erreichen können. Litauens Präsidentin Dalia Grybauskaite ließ sich während des Besuchs von der Leyens trotzdem nicht dazu hinreißen, mit einer Stationierung neuer Mittelstreckenraketen der USA in ihrem Land zu sympathisieren.

„Ich glaube, wir müssen jetzt neue Lösungen finden“, sagte sie auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit von der Leyen auf eine entsprechende Frage. „Die Welt hat sich verändert.“

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