Wählen dürfen die Deutschen schon in der Kaiserzeit, allerdings nicht alle. Nach dem Sturz der Monarchie wird das Parlament zum Machtzentrum und gibt sich eine moderne Verfassung. Ihr größter Feind heißt Adolf Hitler.

Schlange stehen für die Demokratie vor einem Berliner Wahllokal am 19. Januar 1919

„Alles für das Volk, alles durch das Volk!“, ruft der Sozialdemokrat (SPD) Philipp Scheidemann am 9. November 1918 von einem Balkon des Reichstags in Berlin. An diesem Tag proklamiert er die Republik, die zunächst eine provisorische ist. Denn wählen darf das Volk erst gut zwei Monate später, am 19. Januar 1919. In der Zwischenzeit regiert ein Rat der Volksbeauftragten unter Leitung des SPD-Vorsitzenden Friedrich Ebert. Seine Aufgabe ist es, den Übergang von der Monarchie in die parlamentarische Demokratie zu gewährleisten.

Auf dem Weg dahin sterben im deutschen Revolutionswinter mehrere Tausend Menschen bei bürgerkriegsähnlichen Zuständen. Unter den Opfern sind Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, die zum Jahreswechsel die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) gegründet haben. Sie werden vier Tage vor der Wahl zur verfassunggebenden Nationalversammlung ermordet. Die Geburtsstunde der Demokratie in Deutschland steht also unter keinem guten Stern. Im Dezember 1918 beschließt der SPD-dominierte Reichsräte-Kongress seine Selbstentmachtung und ebnet damit den Weg für die erste allgemeine, gleiche, geheime und direkte Wahl.

Erstmals dürfen auch Frauen wählen

Und es gibt eine zweite Premiere: Frauen haben das aktive und passive Wahlrecht. Außerdem wird das Wahlalter von 25 auf 20 Jahre gesenkt. Die Hoffnung der SPD auf eine absolute Mehrheit bleibt unerfüllt. Zwar wird sie mit 37,9 Prozent und großem Vorsprung stärkste Kraft, ist aber auf Koalitionspartner angewiesen. Die findet sie in der konservativen, katholisch geprägten Zentrumspartei und der linksliberalen Deutschen Demokratischen Partei (DDP).       

Kommunistische Abgeordnete gibt es gar keine, weil die KPD der Wahl fernbleibt. Eine Beteiligung wäre in ihren Augen Verrat an der Revolution gewesen. Rosa Luxemburg hatte vergeblich davon abgeraten, die Wahl zu boykottieren. Anders als viele ihrer Weggefährten habe die Galionsfigur vieler Linker nicht an einen schnellen Sieg der Revolution geglaubt, sagt der Hamburger Historiker Marcel Bois im Gespräch mit der Deutschen Welle. „Luxemburg hat erkannt, dass die SPD weiterhin die stärkste Kraft in der Arbeiterbewegung ist.“

Die politische Landkarte ist überwiegend rot

Weil Wahlkämpfe immer Orte der politischen Auseinandersetzung seien, müsse man als Kommunistin auch Teil davon sein und an den Debatten teilnehmen, habe sie argumentiert – vergeblich. Vom freiwilligen Verzicht der KPD profitieren die SPD und die Unabhängigen Sozialdemokraten (USPD) aber nur bedingt. Noch enttäuschender sind die Ergebnisse für jene Parteien, die der jungen Republik kritisch bis ablehnend gegenüberstehen. Die rechtsliberale Deutsche Volkspartei (DVP) und die konservative Deutschnationale Volkspartei (DNVP) erhalten zusammen nur knapp 15 Prozent. 

„Der größte Teil Deutschlands ist rot“, verweist Historiker Marcel Bois auf die Färbung der politischen Landkarte. Fast überall hat die SPD die Wahlkreise gewonnen. In Halle-Merseburg, damals das deutsche Industrie-Zentrum, ist es die USPD. Im katholischen Süden hingegen, also in Bayern, und im katholischen Westen ist die Republik schwarz. Dort sind die Zentrumspartei und die Bayerische Volkspartei am stärksten. Im Osten wiederum gibt es Gebiete, wo die völkische, antisemitische DNVP stärkste Kraft ist.

Von der Splitter- zur Massenpartei: NSDAP  

Am 6. Februar, gut zwei Wochen nach der Wahl, tritt die Nationalversammlung erstmals zusammen – allerdings nicht in Berlin, sondern im beschaulichen Weimar (Thüringen). Die noch immer aufgeheizte Stimmung in der Reichshauptstadt erscheint den meisten der 423 Abgeordneten, darunter 37 Frauen, zu gefährlich. Historiker Marcel Bois sieht in dieser Entscheidung keinen Makel. „Ich glaube, da haben politische Entwicklungen der nächsten Jahre eine viel größere Bedeutung gehabt.“

Am 6. Februar findet am historischen Ort in Weimar ein Festakt mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier statt

Dazu zählt vor allem die 1920 von Adolf Hitler in München gegründete Nationalsozialistische Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP). Sie entwickelt sich rund zehn Jahre später vor dem Hintergrund der Weltwirtschaftskrise von einer Splitter- zur Massenpartei. Ihr Siegeszug mündet 1933 in den Untergang der nach ihrem Ursprungsort benannten Weimarer Republik. Dabei profitiert die Nazi-Partei von der liberalen Verfassung, die von der ersten gewählten Nationalversammlung bis zum Sommer 1919 erarbeitet und beschlossen wird.

Das Prinzip der Gewaltenteilung 

Auch heute noch ist in der Bundesrepublik Deutschland die Gewaltenteilung zwischen Parlament, Regierung und Rechtsprechung größtenteils so geregelt wie damals – mit dem wichtigen Unterschied, dass der Präsident in der Weimarer Republik wesentlich mehr Macht hat als heute. Nur deshalb kann Paul von Hindenburg 1933 Adolf Hitler legal zum Reichskanzler ernennen. Seit 1949 ist die Rolle des Staatsoberhaupts im Kern auf repräsentative Aufgaben beschränkt – eine unmittelbare Lehre aus dem Scheitern der ersten deutschen Demokratie.  

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