Falschnachrichten manipulieren ganze Gesellschaften, Hass schafft ein vergiftetes Klima im Netz. An diesem Donnerstag diskutierten Experten in Berlin über rechtliche Lösungen für problematische Inhalte im Internet.

Eine Flut, die nicht mehr in geordneten Bahnen fließt, über ihre Ufer tritt und dabei auch manches mitreißt. So beschreibt Angelika Nußberger die schiere Menge an Informationen, die Tag täglich durchs Internet fließt, die zu einer Sturmwelle anschwellen kann, wenn das Interesse groß ist. Zum Beispiel immer dann, wenn US-Präsident Donald Trump eine Provokation auf Twitter veröffentlicht oder ein Hashtag an Fahrt gewinnt. Wenn das Thema kurze Zeit später keinen mehr schert, verwandelt sich die Flut schnell in ein Rinnsal.

Um über den Umgang mit dieser Flut zu diskutieren, ist die Vizepräsidentin des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gemeinsam mit anderen Experten zur Medienrechtstagung „Free Flow of Information – gefährlich oder in Gefahr?“ gekommen. Die Veranstaltung ist eine neue Kooperation der Deutschen Welle mit dem Institut für Medien- und Kommunikationsrecht der Universität Köln, moderiert vom Leiter des DW-Studios Brüssel, Max Hofmann.

Es soll um den freien Fluss der Informationen gehen – und um den schmalen Grad zwischen dem Gut der Meinungsfreiheit und den „neuen und unbekannten Gefahren im Netz“, wie Nußberger es nennt.

Der schmale Grad zwischen Meinungsfreiheit und Hate Speech

Denn die Flut an Informationen im Internet ist auch gespickt mit Falschnachrichten und Hasskommentaren. Die Verbreitung von irreführenden und schlecht recherchierten Informationen ist kein Einzelfall mehr. Mittlerweile tragen solche Posts dazu bei, Wahlen zu manipulieren, wie in den USA 2016. Sie beeinflussen die Meinung ganzer Gesellschaften, wie beim Brexit-Votum im selben Jahr.

Die deutsche Justizministerin Katarina Barley im Gespräch mit Max Hofmann, dem Leiter des DW-Studios in Brüssel

Hass, der im Internet auf sie niederprasselt, das erlebt Katarina Barley, die deutsche Justizministerin, jeden Tag. „Wie andere, die in der Politik unterwegs sind. Die Hemmschwellen sinken. „Ein Grund dafür sei, sagt Barley, dass viele anonym im Netz unterwegs seien.

„Anonymität errichtet ein Schutzschild zwischen Person und Meinung und führt dazu, dass asoziales Verhalten gefördert wird“, erklärt Nußberger. Sie zitiert aber auch den Obersten Gerichtshof der USA, der „Anonymität als Schutzschild vor der Tyrannei der Mehrheit“ preist.

Ob anonym oder nicht: Die Frage bleibt, wann ist die Grenze der Meinungsfreiheit im Internet erreicht? Und was tut der Gesetzgeber?

Das Recht auf freie Meinungsäußerung sei nicht schrankenlos, sagt Katarina Barley. Problematisch sei unter anderem, wenn die Meinungsfreiheit der Opfer von Hate Speech, also Hetze, eingeschränkt werde. Viele zögen sich zurück, sobald sie in einem Strudel von Hass gefangen seien und ihre Stimmen wären dann online nicht mehr hörbar.

Angelika Nußberger, Vizepräsidentin des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte über die Flut an Informationen

Doch der Kampf gegen Hass und Falschnachrichten im Netz ist einer, der nicht leicht zu kämpfen und schon gar nicht leicht zu gewinnen ist. Auch wenn Angelika Nußberger deutlich macht, dass sich rein rechtlich ein Chat übers Internet gar nicht groß von einem Gespräch oder einer Unterhaltung zwischen zwei Anwesenden unterscheiden würde. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte arbeite aber in seinen Entscheidungen Schritt für Schritt die Unterschiede zwischen offline und online geführter Kommunikation heraus.

Der deutsche Weg gegen Hass im Netz

Deutschland versucht unterdessen seit Anfang 2018 mit dem NetzDG, kurz für Netzwerkdurchsetzungsgesetz, Hass und Falschnachrichten im Internet Herr zu werden. Nach knapp einem Jahr räumt Justizministerin Barley ein, dass es erwartungsgemäß nicht weniger Fake News und Hate Speech im Netz gebe, zieht aber ansonsten eine eher positive Bilanz: Viele Befürchtungen seien nicht eingetreten, es sei etwa nicht zu „Overblocking“ – einer Überregulierung – gekommen.

Arnd Haller, Leiter der Rechtsabteilung von Google Deutschland und Nordeuropa, meint hingegen, es sei schlecht überprüfbar, ob die Unternehmen wirklich kaum Inhalte gelöscht hätten, die nie hätten gelöscht werden dürfen. „Bei Google und Facebook werden solche Entscheidungen am Fließband durchgeführt“, sagt Haller. Der Druck sei hoch. Denn: Die Plattformen müssen rechtswidrige Inhalte entweder innerhalb von 24 Stunden oder sieben Tagen entfernen. 

„Wir schaffen Schwerter, die eher stumpf sind“, kritisiert er die Lage in Deutschland. Löschen allein bringe nichts. Konsens auf der Medienrechtstagung der DW ist, dass strafrechtlich relevante Tweets oder Posts auch verfolgt werden müssen, doch das passiere bisher viel zu wenig. Haller fordert auch, nicht nur national zu denken. „Wir müssen EU-weite Regelungen einführen“, sagt er mit Blick auf das Internet, das bekanntlich keine Landesgrenzen kennt.

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