Im Fall des Terroristen Anis Amri tauchen immer mehr V-Leute auf – der entscheidende Tipp blieb aber aus. Was treibt diese Honorarkräfte für Staatsschutz und Polizeibehörden an? Experten geben Auskunft.

Für den Chef der Berliner Kriminalpolizei war es keine Überraschung, als er vor einigen Tagen mit Berichten über einen möglichen früheren Spitzel seiner Behörde in der als Salafisten-Hotspot bekannten Fussilet-Moschee konfrontiert wurde. Ob und wann es diesen V-Mann des Landeskriminalamtes im Umfeld der Moschee gab, könne und dürfe er aber nicht sagen, sagte Landeskriminalamtschef-Chef Christian Steiof (LKA) im Untersuchungsausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses zum islamistischen Terroranschlag auf dem Berliner Weihnachtsmarkt. Es gebe seit vielen Jahren V-Leute im Bereich der Islamismusbekämpfung. Konkrete V-Leute und ihre Einsatzorte kenne er aber gar nicht.

Nach Medieninformationen führte eine Anti-Terror-Dienststelle des LKA eine V-Person, die Kontakt zu der Moschee hatte. Es ist nicht der erste V-Mann im Fall von Anis Amri. Bekannt ist, dass V-Leute des LKAs Nordrhein-Westfalen, des Bundeskriminalamts und des Bundesamts für Verfassungsschutz in der Moschee verkehrten. Die Fussilet-Moschee in Berlin Moabit wurde auch von Amri besucht. Am 19. Dezember 2016 verübte er einen Terroranschlag auf dem Weihnachtsmarkt – dabei wurden zwölf Menschen getötet und mehr als 70 verletzt. Aber kein V-Mann konnte den entscheidenden Tipp geben. 

Anis Amri steuerte diesen LKW im Dezember 2016 in eine Menschenmenge auf einem Weihnachtsmarkt in Berlin – 12 Menschen starben

Trotzdem wäre das LKA Berlin schlecht beraten gewesen, keinen V-Mann zu installieren, sagt ARD-Terrorismusexperte Holger Schmidt im Gespräch mit der Deutschen Welle (DW). Das erwarte er von den Sicherheitsbehörden, weil der Bereich der Islamismusbekämpfung hochgradig sicherheitsrelevant sei, sagt Schmidt.

Drei verschiedene Typen 

V-Leute werden in in- und ausländischen Geheimdiensten eingesetzt. In Deutschland sind das das Bundesamt für den Verfassungsschutz, die Verfassungsschutzämter der Bundesländer und der Bundesnachrichtendienst (BND). Auch die Polizei arbeitet mit verdeckten Informationsgebern – aber im Unterschied zu den Nachrichtendiensten sind die Polizeibehörden nicht ganz so frei im Umgang mit ihren Spitzeln bei Gesetzesübertretungen: So müssten sie beispielsweise schneller und früher ermitteln, wenn sie von Straftaten ihrer V-Männer erfahren würden, sagt Terrorismusexperte Schmidt. 

Allgemein werden drei Typen von Informationsgebern für Dienste und Polizeibehörden unterschieden:

1.   Der Informant gibt den Behörden sporadisch Tipps.

2.   Die Zusammenarbeit mit V-Leuten oder der Vertrauensperson (VP) ist mittel- bis langfristig angelegt. Er oder sie stammt meist aus dem Milieu, das beobachtet werden soll.

3.   Der Verdeckte Ermittler ist ein Beamter oder Angestellter der Ermittlungsbehörde, der in den jeweiligen Milieus eingesetzt wird.

Eingesetzt werden V-Leute in den unterschiedlichsten Milieus: der organisierten Kriminalität, im Rotlichtmilieu, im Drogenhandel, in den links- und rechtsextremistischen Szenen sowie bei der Bekämpfung des gewaltbereiten Islamismus.

Kennt sich aus in der Welt der Geheimdienste: Autor und Publizist Michael Mueller

Jeder V-Mann oder VP wird in der Behörde einem sogenannten VP-Führer zugeteilt. „Diese VP-Führer haben in der Regel relativ freie Hand. Innerhalb der Behörde werden V-Leute nur mit Decknamen oder Nummern geführt“, sagt Michael Mueller, Experte für den Bundesnachrichtendienst und Autor diverser Publikationen über Geheimdienste im DW-Gespräch. VP-Führer spielten die Rolle des netten Bekannten, der den Geburtstag nicht vergisst und auch in Lebenskrisen weiterhilft. Ein VP-Führer könne bis zu acht V-Männer führen. Dabei werde peinlichst darauf geachtet, dass sich die unterschiedlichen V-Leute nie begegnen, sagt Mueller.

So, wie man es aus dem Kino kennt

Im Normalfall suchen Dienste und Polizeibehörden aktiv in den jeweiligen Milieus nach Informanten. Anreize für die Mitarbeit können dabei ganz unterschiedlich sein. ARD-Terrorismusexperte Schmidt erzählt von einem Fall, in dem das Diplom des Sohnes schneller anerkannt werden sollte. Es werde aber auch offen gedroht: „Wir werden dich beim Jugendamt anschwärzen und berichten, wie du dein Kind behandelst“, erzählt Schmidt. Das sei schon so, wie man es aus dem Kino kenne, sagt er. Im kriminellen Milieu werden V-Leute direkt im Gefängnis angesprochen und rekrutiert. Strafgefangene erreichen auf diese Weise Hafterleichterungen oder handeln Deals für die anstehenden Prozesse aus.

Im selteneren Fall bieten V-Leute ihre Dienste der Behörde an. „Das sind die so genannten Selbstanbieter“, sagt Schmidt. Für die Nachrichtendienste und Behörden sei das der schlechteste Fall, weil immer die Motivation hinterfragt werden müsse. In den meisten Fällen wollen sie Geld oder Geld und Aufmerksamkeit. Und dass der Superinformant freiwillig den Ermittlungs- und Nachrichtenbehörden seine Dienste anbietet, sei der absolute Ausnahmefall, erzählt er.

BKA führt vertrauliche Tarifliste für V-Leute  

Bei der Bezahlung von V-Männern gibt es keine Regeln. „Der eine erhält 300 Euro am Tag, andere 100 Euro für einen Tipp und der Dritte bekommt gar nichts, weil er sich nicht käuflich fühlen will – auch Geschenke für die Kinder sind beliebt“, sagt Terrorismusexperte Schmidt.

Die Webseite der Wochenzeitschrift „Stern“ berichtet von einer vertraulichen 25-seitigen Liste „Allgemeine Grundsätze zur Bezahlung von V-Personen und Informanten“ mit dem Signet des Bundeskriminalamtes (BKA). Darin heißt es, dass „finanzielle Anreize“ geschaffen werden müssen, „da der Rückgriff auf VP und Informanten oft kostengünstiger ist als der Einsatz sonstiger Instrumentarien“. Im Bereich der Drogenkriminalität gelten – abhängig von den aktuellen Groß- und Zwischenhändlerpreisen – bei der Sicherstellung von Drogen folgende Tarife: 130 Euro pro Kilo Haschisch (ab 20 Kilo: 78 Euro pro Kilo), 1540 Euro pro Kilo Heroin oder Kokain (ab zehn Kilo: 1030 Euro pro Kilo, ab 20 Kilo: 260 Euro pro Kilo). Das BKA gibt auch wichtige Hinweise: „Die VP/der Informant ist über eine mögliche Anzeigepflicht gegenüber den Arbeits- und Sozialämtern zu belehren“, heißt es in dem Papier, wie stern.de berichtet.

„Wir erfahren immer nur von den Skandalen“

Nachrichtendienste und Polizeibehörden befürworten also den Einsatz von V-Männern. Aber macht ihr Einsatz wirklich Sinn? „Da können wir nur spekulieren, da wir von Erfolgsmeldungen des Verfassungsschutzes selten etwas erfahren. Wir erfahren immer nur von den Skandalen und den fehlgeschlagenen Einsätzen“, gibt Steffen Kailitz vom Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung an der Technischen Universität Dresden zu bedenken. Kailitz hat sich intensiv mit dem Einsatz von V-Leuten beim ersten NPD-Verbotsverfahren beschäftigt.

Wolfgang Frenz, der ehemalige Vizevorsitzende der NRW-NPD. Frenz arbeitete 30 Jahre lang als V-Mann für den Verfassungsschutz

Die ersten Verfahren zum NPD-Verbot sind vom Bundesverfassungsgericht am 18. März 2003 aus Verfahrensgründen eingestellt worden, weil V-Leute des Verfassungsschutzes auch in der Führungsebene der Partei tätig waren. So entpuppte sich Wolfgang Frenz, der frühere NPD-Vizevorsitzende von Nordrhein-Westfalen, offiziell geladen als eine der wichtigsten Auskunftspersonen im Karlsruher NPD-Verbotsverfahren, als erstklassig platzierter V-Mann des Verfassungsschutzes. Bis 1995, mehr als 30 Jahre lang, lieferte er für ein monatliches Honorar von 600 bis 800 Mark Informationen über das Innenleben der rechtsradikalen Partei. Frenz will seinen Spitzellohn stets in die Parteikasse geleitet haben. Kritiker empörten sich: Damit habe der Staatsschutz auf blamable Art eine verfassungsfeindliche Partei unterstützt. Aufgrund dieser Erfahrungen zum NPD-Verbotsverfahren spricht sich Experte Kailitz gegen den Einsatz von V-Leuten bei einer eventuellen Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz aus. 

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