In Berlin gedenken Muslime, Christen und Juden der Opfer des Massakers von Christchurch. Beim „interreligiösen Friedensgebet“ wird aber auch leise Kritik laut an der fehlenden Anteilnahme der großen Politik.

Punkt 18 Uhr schlägt die Kirchturmuhr. Dann klingt vom Glockenspiel hoch oben das Kirchenlied „Oh Haupt voll Blut und Wunden“. Als es dann still wird, tritt Osman Örs nach vorne und begrüßt zum „interreligiösen Friedensgebet“. Im Herzen von Berlin ist es ein Gedenken an die Opfer des Massakers von Christchurch. Dort starben vor sechs Tagen 50 Menschen durch den Hass, durch die Salven eines rechtsextremen Rassisten. Es waren Betende in zwei Moscheen.

Imam Osman Örs

Örs erinnert an die vielen Toten von Christchurch. Er erinnert aber auch an das Blutbad mit elf Toten in einer Synagoge im US-amerikanischen Pittsburgh vor fünf Monaten, an schreckliche Anschläge auf christliche Kirchen.

Das Entsetzen nach Christchurch war groß. Aber im Gegensatz zu früheren Terrorakten gab es in der deutschen Hauptstadt keinen Ort voller Kerzen oder Blumen. Niemand illuminierte das Brandenburger Tor.

Zur Trauerfeier in die Parochialkirche unweit des Roten Rathauses sind nur rund 50 Teilnehmer, Muslime, Juden und Christen, gekommen. Kurzfristig dazu eingeladen hatte die Stiftung „House of One“, in der sich Gläubige der drei Religionen gemeinsam engagieren. Ein Innehalten am Abend.

„Vereint in unserer Erschütterung“

„Wir stehen hier gemeinsam, vereint in unserem Dasein als Mensch, in unserer Erschütterung.“ „Es ist ein trauriger Anlass“, sagt Imam Kadir Sanci. „Bei dieser Andacht, bei dieser Trauerfeier stehen diesmal die Muslime im Vordergrund.“ Deshalb, erläutert er, fehlten Kerzen, fehle jede Instrumentalmusik, jeglicher Gesang aller. Dazu passt der kalte, düstere Raum der weithin schmucklosen Kirche. Nur ein Kreuz aus Schrottteilen hängt weit oben über dem Altar.

Drei Religionen, drei Geistliche: Rabbiner Andreas Nachama, Imam Kadir Sanci, Pfarrer Gregor Hohberg (von links nach rechts)

Sanci liest einen Abschnitt aus dem Koran in Deutsch und Arabisch. Dem folgt Rabbiner Andreas Nachama, der in Deutsch Psalm 116 aus der Bibel betet und auf Hebräisch singt. „Unsere Welt ist anders geworden. Und wir fühlen mit den Familien der Opfer. Möge deren Tod nicht umsonst gewesen sein.“

Der evangelische Pfarrer Gregor Hohberg erinnert an die christliche Tradition des Gebets um Vergebung. „Beten, nicht Rache ist unsere Antwort auf den Hass, der Mitmenschen zu Feinden macht.“ Der christliche Geistliche erwähnt auch die Opfer der Gewalttat von Utrecht in dieser Woche, bevor er langsam ein „Vater unser“ spricht. Schließlich stimmen die Imame in arabischer Sprache einen Sprechgesang an – eine Totenklage des türkischen Mystikers und Volksdichters Yunus Emre (1240-1321).

Politiker abwesend

Auch wenn das Rote Rathaus, der zentrale Sitz der Regierung Berlins, keine 300 Meter entfernt ist. Niemand aus der Landespolitik ist in die Kirche gekommen. Auch niemand aus der Leitung der großen Kirchen in der Stadt. Das einzige prominentere Gesicht ist Lala Süsskind, die frühere Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin. „Wir haben ja nur sehr kurz vorher eingeladen“, sagt Osman Örs nach der knapp halbstündigen Feier. 

Safiyye Aydin, Berliner Muslima

Eine derer, die froh um die gemeinsame Feier ist, ist Safiyye Aydin. Die junge Berliner Muslima nennt es „sehr schön und sehr erleichternd zu sehen, dass andere Religionen Anteilnahme zeigen, dass sie da sind, dass wir gemeinsam beten. Wir teilen die Trauer. Und wenn wir die Trauer teilen, wird sie weniger“.

Die gemeinsame Feier zeige auch, dass Religionen untereinander friedlich seien und „eigentlich kein Problem miteinander haben“. Wenn jemand morde, wenn jemand Menschen im friedlichen Gebet töte, habe das nichts mit Religiosität oder Gottes Wille zu tun, sondern stehe einfach für eine kranke Weltanschauung.

„Jacinda Ardern als Vorbild“

 Aber Aydin ist auch irritiert über die Reaktionen der großen Politik. „Ich hätte mir ein stärkeres politisches Zeichen gewünscht“, sagt sie. Von den großen Parteien „kamen ein paar Tweets – aber das war es dann auch schon. Wir sind Muslime, aber wir sind in erster Linie Bürger dieses Landes. Wir gehören zu diesem Land.“

Die Muslima verweist auf die neuseeländische Premierministerin Jacinda Ardern, „ein großes Vorbild in dieser Sache. Sie ist zu den Gemeinden gekommen, hat aufrichtig Anteilnahme gezeigt, hat mit den Gemeinden gebetet, war für ihre Bürger da. Das hätte ich mir auch in Deutschland gewünscht.“

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