Lassen sich Kriegsverbrechen in Afrika von Deutschland aus verfolgen? Das Oberlandesgericht Stuttgart verurteilte zwei Ruander für Verbrechen im Ostkongo. Im Dezember zeigt sich, ob der Prozess neu aufgerollt wird.

Die beiden Angeklagten sitzen am 28.09.2015 im Gerichtssaal des Oberlandesgerichts Stuttgart

Es war ein Kriegsverbrecher-Prozess der Superlative: Das Oberlandesgericht Stuttgart tagte 320 Mal in über vier Jahren. Angeklagt waren zwei ruandische Männer, die über Jahre eine Rebellengruppe im Ostkongo geleitet haben sollen, während sie in Deutschland unbehelligt ein ganz normales Leben führten. 2015 wurden die beiden Männer nach einem Mammutprozess wegen Beihilfe zu Kriegsverbrechen zu 13 beziehungsweise acht Jahren Haft verurteilt. Doch ob es bei diesen Strafen bleibt, ist jetzt wieder offen. Am Mittwoch wurde beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe darüber verhandelt, ob der Prozess neu aufgerollt werden muss.

Hier wird auch über Kriegsverbrechen in aller Welt geurteilt: Bundesgerichtshof in Karlsruhe

Die Bundesanwaltschaft forderte in der Verhandlung, den langjährigen Präsidenten der FDLR („Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas“) als Täter und nicht nur wegen Beihilfe zu verurteilen. Kämpfer der Organisation hatten 2009 bei Angriffen auf mehrere Dörfer zahlreiche Zivilisten getötet. Der 1963 geborene Hauptangeklagte und sein 57 Jahre alter Vize leben seit langem in Deutschland und führten die FDLR als Funktionäre und Repräsentanten aus der Ferne. Das Oberlandesgericht Stuttgart hatte die Männer 2015 als Rädelsführer in einer Terrorvereinigung verurteilt, hielt sie aber nicht für so mächtig, als dass sie die Gräueltaten hätten verhindern können. Die Verteidigung fordert die Einstellung oder die Neuauflage des Verfahrens. Am 20. Dezember wollen die Richter in Karlsruhe entscheiden, wie es weitergehen soll.

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Weltstrafrecht: Damit es keine rechtsfreien Zonen mehr gibt

Doch warum kümmert sich die deutsche Justiz um Gräueltaten im Ostkongo? Seit 2002 können deutsche Ermittler nach dem Weltrechtsprinzip Kriegsverbrechen im Ausland verfolgen. Der Präsident und der Erste Vizepräsident der FDLR sind Ruander – aber sie leben seit den 1980er Jahren in Deutschland. Ende 2009 lässt der Generalbundesanwalt beide festnehmen. Die Anklage gegen die Männer ist die erste nach dem neuen Völkerstrafgesetzbuch. Darin werden sie für 26 Verbrechen gegen die Menschlichkeit und 39 Kriegsverbrechen verantwortlich gemacht. Weil die Männer in Deutschland leben, sind für sie aber ohnehin deutsche Gerichte zuständig.

Robert Heinsch, Professor für Humanitäres Völkerrecht an der Ruhr-Universität Bochum, hält es für unabdingbar, dass deutsche Gerichte das neue Weltrechtsprinzip nutzen. Im Gespräch mit der DW sagt er: „Insbesondere die vier Kernverbrechen, Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und Aggression, die sind so wichtig für das globale Zusammenleben, dass man das nicht dem einzelnen Staat überlassen kann, weil diese Verbrechen im Grunde jeden angehen.“  

Kriegsverbrechen per SMS: Kamen die Kommandos für die FDLR-Milizen im Osten Kongos von zwei ruandischen Staatsangehörigen, die von Deutschland aus Befehle gaben?

Im Fall der angeklagten Miliz-Chefs ist dies offensichtlich: Die FDLR-Kämpfer zogen in den Jahren 2008 und 2009 brandschatzend durch Dörfer im Ostkongo. Dabei verbrannten Menschen, sie wurden erschlagen, erschossen oder zerstückelt. Unter den insgesamt 174 zivilen Todesopfern sind viele Frauen und Kinder. Hintergrund ist der Genozid im Nachbarland Ruanda 1994. Im Bürgerkrieg sind viele Hutus in die Demokratische Republik Kongo geflohen. Dort gründen sie die FDLR, um vom Osten des Kongos aus die Regierung in Ruanda zu entmachten.

Alles was der Aufarbeitung der Verbrechen dient, dient auch den Opfern“

Sylvain Lumu sieht den Prozess in Deutschland gut aufgehoben.

Für Sylvain Lumu, Geschäftsführer der Menschenrechtsorganisation „Ligue des électeurs“ mit Sitz in Kinshasa, ist der Prozess trotz seiner Länge ein wichtiger Baustein in der Vergangenheitsbewältigung. „Alles was der Aufarbeitung der Verbrechen dient, dient auch den Opfern“, sagt der Leiter der Menschenrechtsorganisation aus der Demokratischen Republik Kongo im Gespräch mit der DW. Kritik daran, warum das Verfahren nicht vor Ort in der Nähe der Opfer stattfindet, kann er verstehen, gewichtet die Dinge aber anders. „Ich glaube nicht, dass Prozesse in dieser Dimension im Kongo oder in Ruanda möglich wären“, sagt Lumu.

Dass die Beweisaufnahme von Deutschland aus schwierig bis teilweise unmöglich gewesen sein muss, wie die Richter des Oberlandesgerichts Stuttgart mehrfach zu Protokoll gaben, das mag der Geschäftsführer der kongolesischen Menschenrechtsorganisation sofort glauben. Zweifel an den deutschen Urteilen hat er dennoch keine. „Wenn die Richter nicht genügend Beweise gehabt hätten, dann wäre es auch zu keiner Verurteilung gekommen.“

Deutschlands Justiz schlecht vorbereitet

Das Oberlandesgericht Stuttgart bei der Urteilsverkündung im Jahr 2015

Dennoch geht das Verfahren jetzt noch einmal in eine Verlängerung. Und lang ist es ohnehin schon. Bei dem Stuttgarter Prozess mussten die Richter Gewalttaten aufklären, die tausende Kilometer entfernt geschehen sind. Geprüft wurde jedoch nach der deutschen Strafprozessordnung, was hohe Hürden bei der Beweisführung mit sich brachte. Zeugen wurden nach Stuttgart geflogen und wieder zurück, traumatisierte Opfer wurden zum Teil per Videoschalte befragt, sofern dies überhaupt möglich war. Aussagen und Dokumente mussten übersetzt werden. Bei der Urteilsverkündung im September 2015 sprach der Vorsitzende Richter Jürgen Hettich von einer „Herkulesaufgabe“, die kaum zu bewältigen gewesen sei. Und er fügte hinzu: „So geht es nicht“.

Professor Robert Heinsch hat Verständnis für den Richter, verweist aber darauf, dass die effektive Ahndung von Kriegsverbrechen den Aufbau einer entsprechenden Infrastruktur braucht. „Wenn man da noch keine Erfahrung hatte, wie man jetzt Zeugen aus einem afrikanischen Land vernimmt, wie man mit Opfern umgeht, die gar nicht die deutsche Sprache können, wo man Übersetzer braucht, wo man Ermittlungshilfe von kongolesischen und ruandischen Behörden braucht, dann fällt das natürlich schwer, wenn man das von jetzt auf gleich etablieren muss.“

Professor Robert Heinsch vom Institut für Humanitäres Völkerrecht an der Ruhr-Universität Bochum

Aufbau von Kompetenzzentren

Beim Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag oder auch beim Jugoslawien-Tribunal seien hunderte Prozessbegleiter, Rechtsexperten und Übersetzer beschäftigt. Das baue eine langfristige Expertise auf, die entscheidend sei. Dass ein deutsches Oberlandesgericht diese Kapazitäten für gelegentliche Mammutprozesse nicht vorhalten könne, verwundere ihn nicht. Eine Bündelung der Kompetenzen bei einigen wenigen Gerichten, die auf so spezielle Fälle vorbereitet seien, könnte deshalb die richtige Antwort auf den Ruanda-Prozess in Stuttgart sein.

In den Niederlanden und in Spanien hätten sich bei einzelnen Gerichten spezielle Kriegsverbrecherabteilungen gebildet. Und auch die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe habe eine Task Force für internationale Kriegsverbrechen aufgebaut. Heinsch mahnt aber auch zur Geduld: Im Vergleich zu einem Menschenleben sei das internationale Völkerstrafrecht gerade einmal „volljährig“ geworden. „Es muss noch viel Lebenserfahrung sammeln“. Die nächste Möglichkeit dazu wird am 20. Dezember in Karlsruhe sein. Bestätigt der Bundesgerichtshof das vorhergehende Urteil, wird es rechtskräftig. Stoßen die Richter auf Fehler, müsste das Verfahren mindestens teilweise neu aufgerollt werden.

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