Einer aktuellen Umfrage zufolge halten lediglich 42 Prozent der Ostdeutschen die Demokratie für die beste Staatsform. Die Gründe für die Skepsis sind wohl vor allem in der Biografie vieler Ostdeutscher zu suchen.

Fast 30 Jahre ist es her, dass die Menschen in Ostdeutschland – in Leipzig und vielen anderen Städten – auf die Straße gingen, um zu demonstrieren. Für Reisefreiheit, freie Wahlen und für die Demokratie als Staatsform. Doch von letzterer scheinen viele Bürger in Ostdeutschland heute nicht mehr so recht überzeugt zu sein. Eine Umfrage des Instituts für Demoskopie Allenbach, durchgeführt für die Frankfurter Allgemeine Zeitung, legt das zumindest nahe. Lediglich 42 Prozent der Befragten gaben bei der repräsentativen Umfrage an, dass die in Deutschland gelebte Demokratie die beste Staatsform sei. In Westdeutschland meinten dies dagegen 77 Prozent der Befragten.

Umbrüche in der Biografie entscheidend

Wie kommt das? Sind die Bürger, die im Osten leben und zu einem großen Teil noch die DDR miterlebt haben, grundsätzlich demokratieskeptischer? Nein, sagt Martina Weyrauch, Leiterin der brandenburgischen Landeszentrale für politische Bildung – und das, obwohl der Wert schon immer niedrig gewesen sei: „Ich denke, der Punkt ist nicht, dass die Ostdeutschen nicht lernfähig seien und immer noch an der Diktatur hingen.“

Vielmehr müsse man bedenken, welche Erfahrungen die Bürger in den neuen Bundesländern während und nach der friedlichen Revolution gemacht hätten: „Was da alles passiert ist mit den Leuten, ohne dass sie gefragt wurden – dieser Prozess wird oft nicht betrachtet. Diese Umbrüche haben dazu geführt, dass einige Bevölkerungsteile sehr skeptisch allem Herrschenden gegenüber sind.“ Die Erfahrbarkeit von Demokratie beruhe auf stabilen Verhältnissen – und die habe es auf dem Gebiet der ehemaligen DDR für viele in den Nachwende-Jahren nicht gegeben.

Skepsis gegenüber Marktwirtschaft

Auch das Wirtschaftssystem wird in Ost und West sehr unterschiedlich beurteilt. In Westdeutschland sind 48 Prozent der Befragten der Meinung, es gebe kein besseres System als die Marktwirtschaft. In Ostdeutschland sind es lediglich 30 Prozent. „Das hat damit zu tun, dass die letzten 30 Jahre sehr unsicher waren – wirtschaftlich und was die eigene Existenz betrifft. Dass Kinder aus den Dörfern gehen, dass man nicht weiß, was wird, dass auf den Dörfern auch noch der letzte Laden schließt“, sagt Weyrauch: „50 Prozent aller Industriearbeitsplätze sind verloren gegangen, kaum einer hat nach 1990 noch das gemacht, was er davor gemacht hat.“

Ebenfalls interessant: Während gerademal 26 Prozent der Westdeutschen es heute noch für relevant halten, ob man als Deutscher aus Ost oder West kommt, sind es laut Allensbach-Umfrage in den östlichen Bundesländern mehr als die Hälfte, nämlich 52 Prozent. Die Herkunft als Ostdeutsche scheint also in vielen Köpfen immer noch eine große Rolle zu spielen. Das zeigt sich auch im anlaufenden Wahlkampf für die im Herbst 2019 anstehenden Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen. „Viele Parteien instrumentalisieren Ostdeutschland für ihren Wahlkampf. Eine ziemlich hinterwäldlerische Art, wie ich finde“, sagt Martina Weyrauch. Besser wäre es, wenn die Ostdeutschen von den lokalen Politikern ermutigt würden, weltoffen und selbstbewusst zu sein.

Ungleiche Lebensverhältnisse

Die Geschäftsführerin des Allenbachs-Instituts, Renate Köcher, schreibt über die Studie ihres Hauses, dass sich viele Ostdeutsche offensichtlich „fremd im eigenen Haus“ fühlten. In einem Interview für die am Donnerstag erscheinende Wochenzeitung „Die Zeit“ springt zudem Kanzlerin Angela Merkel persönlich den Ostdeutschen zur Seite. Sie könne den Frust vieler Ostdeutscher verstehen: „Hoffnungen, die Angleichung werde schnell gehen, sind in einigen Bereichen zerstoben.“ 

Die Kanzlerin zeigt sich durchaus selbstkritisch. Die Aufgabe an die Politik sei klar: „Man hat immer darauf gesetzt, dass sich das eines Tages angleicht. Aber wenn man heute noch immer die erheblichen Lohnunterschiede zwischen Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt sieht, dann ärgert das viele.“ Deshalb müsse es jetzt darum gehen, gleichwertige Lebensverhältnisse herzustellen.

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