In zahlreichen deutschen Städten wollen die Menschen an diesem Samstag gegen den „Mietenwahnsinn“ demonstrieren. In Berlin fordert eine Initiative sogar ein Volksbegehren zur Enteignung großer Wohnungskonzerne.

Als Niklas Brubach am 28. Dezember vergangenen Jahres seine Post öffnet, glaubt er erst an einen schlechten Scherz. Auf 30 Seiten erläutert ihm sein Hauseigentümer, wie er die Zwei-Zimmer-Wohnung, die sich der Student mit einem Mitbewohner teilt, modernisieren will. Statt 458 Euro Monatsmiete wären dann 1408 Euro fällig. Das können und wollen die beiden jungen Männer nicht zahlen.

Mit der Mieterhöhung kommen auch die Sorgen, erzählt Niklas Brubach: „Was mache ich, wenn ich hier raus muss, weil ich es mir nicht mehr leisten kann und vielleicht keine Wohnung finde? Muss ich vielleicht aus der Stadt wegziehen?“

Wehrt sich gegen die Mieterhöhung: Niklas Brubach

Er wird sich wehren und demonstrieren gehen an diesem Samstag, wie Tausende Menschen in ganz Deutschland. „Gemeinsam gegen Verdrängung und Mietenwahnsinn“ heißt die Demonstration in Berlin, es werden 25.000 Menschen erwartet. In den letzten zehn Jahren hat sich die Miete im einst so günstigen Berlin glatt verdoppelt. Allein 2017 stiegen die Immobilienpreise laut einer Studie um 20,5 Prozent, so viel wie in keiner anderen Stadt der Welt. Nicht zuletzt deswegen hat eine Initiative das Volksbegehren „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ ins Leben gerufen, die Unterschriftenaktion soll bei der Demonstration am Samstag starten.

Tausende Demonstranten werden am Samstag erwartet

„Die Gesellschaft meldet Eigenbedarf an“

Die Deutsche Wohnen, mit mehr als 100.000 Wohnungen Berlins größter privater Wohneigentümer, ist zum Symbol für steigende Mieten und Renditemaximierung in der Hauptstadt geworden. Über das Volksbegehren fordert die Initiative eine drastische Maßnahme: für die Stadt Berlin ein Gesetz herbeizuführen, mit dem Wohnungskonzerne mit mehr als 3000 Wohnungen enteignet werden können. Betroffen wären davon insgesamt rund 200.000 Berliner Wohnungen.

„Die Gesellschaft meldet Eigenbedarf an. Wir müssen ja irgendwo wohnen, und es kann nicht sein, dass Wohnung zu einer Handelsware wird, die quasi verscherbelt wird, wo es nur noch um Rendite geht. Da ist der Mensch, du und ich, völlig Nebensache“, sagt Daniel Diekmann. Er ist vor zehn Jahren Mietaktivist geworden und unterstützt das Volksbegehren voll. Seit 16 Jahren wohnt er in derselben Straße in Berlin-Mitte und hat penibel aufgeführt, wie die Investoren mit den 106 Wohnungen in seinem Wohnblock umgegangen sind. Da wird verkauft, modernisiert, und jetzt soll er sogar abgerissen werden, um Luxuswohnungen zu bauen. 80 Mieter sind aus Angst schon ausgezogen.

Sinnbild für Mietensteigerung: Deutsche Wohnen

Mehrheit für Vergesellschaftung

Die Unterstützer des Volksbegehrens sehen ihre Forderung im Grundgesetz verankert. Laut Artikel 15 können Grund und Boden „in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden“. Tatsächlich ist der Artikel 15 in dieser Form aber noch nicht angewendet worden. Die Initiatoren sind optimistisch, dass sie die nötige Zahl an Unterschriften zusammenbekommen werden. 20.000 Menschen müssen innerhalb von sechs Monaten unterschreiben, dann noch einmal 170.000 weitere bis Februar 2020, um ein solches Volksbegehren Wirklichkeit werden zu lassen. Laut jüngsten Umfragen äußerte eine knappe Mehrheit der Berliner Sympathie für die Idee der Vergesellschaftung.

Dass eine solche linke Forderung wie Enteignung in der Mitte der Gesellschaft Beachtung und Unterstützung findet, ist neu. Einige wittern schon die Rückkehr des Sozialismus in die ehemalige Hauptstadt der DDR. Im ARD-Deutschlandtrend gaben 62 Prozent derjenigen, die in Deutschland in den letzten fünf Jahren nach einer Wohnung gesucht haben, an, es sei persönlich für sie ein sehr großes oder großes Problem, bezahlbaren Wohnraum zu finden. Zu zaghaft, so wird argumentiert, gehe die Politik das Problem an.

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Lösung oder Abschreckung?

In Berlin geben viele Menschen der Regierungspartei SPD wegen der Welle von Wohnungsprivatisierungen die Schuld für die Misere. Die Partei des Regierenden Bürgermeisters Michael Müller hat noch keine klare Position zum Inhalt des Volksbegehrens gefunden. Die Linkspartei als Koalitionspartner unterstützt die Forderungen des Begehrens und lädt offiziell zur Demonstration am Samstag ein. Die in Berlin ebenfalls mitregierenden Grünen sind gespalten.

Wohnungsverbände und Unternehmen argumentieren, dass eine Enteignung am eigentlichen Problem von Berlin nichts ändern würde: dass die wachsende Stadt dringend mehr Wohnungen braucht. Das könne nur durch geförderten Neubau gelöst werden. Berliner Wirtschaftsvertreter warnen zudem vor einem „Tabubruch“. Allein die Debatte über Enteignungen schrecke Investoren ab.

Daniel Diekmann: „Das Problem ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen“

Sollten tatsächlich, wie die Initiatoren des Volksbegehrens fordern, rund 240.000 Wohnungen enteignet werden, könnte das teuer werden für das ohnehin hoch verschuldete Berlin. Nach einer Schätzung des Senats könnten Entschädigungszahlungen bis zu knapp 37 Milliarden Euro fällig werden. Die Vertreter des Volksbegehrens schätzen die Kosten allerdings deutlich geringer ein.

Für Daniel Diekmann ist der Moment gekommen, dass etwas passieren muss: „Das Problem ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Allein in Deutschland sind es zwanzig Städte, die am ‚Mietenwahnsinn‘-Protesttag teilnehmen werden. Europaweit sind es weitere fünfzehn Städte. Und es geht weiter bis nach Kanada. Einfach weil alle sagen, Wohnen ist ein Menschenrecht.“

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