Auf der Münchener Sicherheitskonferenz haben die deutsche Kanzlerin und der US-Vizepräsident ihre jeweilige Sicht der Dinge dargelegt: eine Freundin des Multilateralismus und ein Verfechter US-amerikanischer Stärke.

Sie blicken ganz unterschiedlich auf die Welt: Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel und US-Vizepräsident Mike Pence. Präsident Donald Trump selbst bleibt dieser wichtigsten internationalen Tagung über globale Sicherheitsfragen demonstrativ fern – und unterstreicht damit seine Position des „America First“. Merkel dagegen will den Multilateralismus retten, der die Welt seit dem Zweiten Weltkrieg geprägt hat und den ironischerweise vor allem die USA durchgesetzt haben.

Ob es Zufall ist, dass die jüngste Meldung zum Handelsstreit aus den USA gerade jetzt durchsickert? Merkel konnte gleich ein frisches Beispiel für die Abkehr der USA von der Zusammenarbeit mit ihren Partnern nennen: Das US-Handelsministerium ist offenbar zu der Entscheidung gelangt, dass Autos aus Deutschland eine Bedrohung darstellen. Auf dieser Grundlage könnte Trump neue Einfuhrzölle erheben. Merkel machte sich regelrecht lustig darüber. Viele Fahrzeuge würden in Zweigwerken deutscher Konzerne in den USA selbst hergestellt: „Wenn diese Autos, die in South Carolina gebaut werden, plötzlich eine Bedrohung der nationalen Sicherheit der Vereinigten Staaten sind, dann erschreckt uns das“, sagte die Kanzlerin.

BMW-Werk in Spartanburg, South Carolina

Merkel: Strukturen nicht zerschlagen

Trotz einiger ironischer Spitzen hielt Merkel insgesamt aber eine sehr ernste Rede. Sie klang wie ihr Vermächtnis. In einer Tour d’Horizon streifte sie alle großen Themen und Probleme der Welt, von zerfallenden Staaten über den Welthandel bis zur Migration, von Russland über den Iran zu China. Ihre entscheidende Botschaft: „Die Strukturen sind unglaublich unter Druck geraten“, aber „wir dürfen sie nicht einfach zerschlagen“. Sie sagte es nicht wörtlich – aber genau dieses Zerschlagen warf sie indirekt den USA unter Präsident Trump vor.

Aber, und das ist Merkels zweite große Botschaft: Man muss mit jedem im Gespräch bleiben, auch mit den besonders schwierigen Partnern. Und das gilt für sie ebenso wie für Russland: Geostrategisch könne Europa trotz aller Schwierigkeiten mit Moskau „kein Interesse daran haben, alle Beziehungen zu Russland zu kappen“. In diesem Zusammenhang warb Merkel auch noch einmal für die umstrittene Gasleitung Nord Stream 2 durch die Ostsee, über die russisches Gas direkt nach Deutschland fließen soll. 

Pence: Trump hat Amerika wieder stark gemacht

Doch genau dieses Projekt bedeutet für Pence eine gefährliche Abhängigkeit von Russland. „Wir können die Verteidigung des Westens nicht garantieren, wenn unsere Bündnispartner sich vom Osten abhängig machen“, sagte Pence. Der Vizepräsident gab sich ganz als Nummer zwei, er leitete viele seiner Sätze ein mit „unter der Führung von Präsident Trump“.

Im Gegensatz zu Merkel, die auch Versäumnisse einräumte und insgesamt zurückhaltend auftrat, hielt Pence eine einzige Lobrede auf die Leistungen der Trump-Regierung: wirtschaftlich, politisch, militärisch. Seine Stichworte waren die wiedergewonnene Stärke Amerikas und der Kampf für die Freiheit. Trump sei oft missverstanden worden, so Pence. Trump wolle sich nicht von den Partnern abwenden. Er verlange jedoch auch etwas von ihnen. Aber „wenn wir stark und einig sind, gibt es nichts, was wir nicht erreichen könnten“.

In der Kritik: Gasprojekt Nord Stream 2

Was die Verbündeten zu tun haben, darüber haben Trump und Pence oft sehr genaue Vorstellungen: Mehr für Verteidigung ausgeben, gerade auch Deutschland, das er aber nicht namentlich nannte. Nord Stream 2 aufgeben und stattdessen US-amerikanisches Flüssiggas kaufen. Sich vom Iran-Abkommen abwenden, denn „der Iran ist der größte Förderer von Staatsterrorismus der Welt“ und wolle einen neuen Holocaust. Und schließlich den venezolanischen Oppositionsführer und selbsternannten Interimspräsidenten Juan Guaidó als legitimen Staatschef anerkennen.

Selbstbewusste Merkel

Merkel und Pence haben weniger gegeneinander geredet als aneinander vorbei. Ihr jeweiliger Blick auf die Welt ist von ihren Staaten geprägt: hier die Regierungschefin einer betont zivilen Mittelmacht, die auf den Ausgleich von Interessen angewiesen ist – dort der zweithöchste Vertreter einer militärischen und politischen Großmacht, die versucht, ihre Position gegenüber alten Gegnern wie Russland und Emporkömmlingen wie China zu verteidigen, und die es gewohnt ist, dass man auf sie hört. Pathos von Freiheit und Stärke bei Pence, vorsichtiges Vermitteln bei Merkel, Schwarz-Weiß-Denken gegen viele Grautöne.  

Haben sich wenig zu sagen: Merkel und Trump, hier bei einer Begegnung im Dezember 2018

Doch Merkel ist selbstbewusst geworden. Als Schlusswort zitierte sie den US-Republikaner Lindsey Graham, der bei der innerparteilichen Kandidatenkür erfolglos gegen Trump angetreten war. Graham, so Merkel, habe das Motto geprägt: „Multilateralismus mag kompliziert sein, aber er ist besser, als alleine zu Hause zu sein.“ Es dürfte Pence und Trump ärgern, dass die deutsche Kanzlerin als Kronzeugen ausgerechnet einen Politiker aus Trumps Republikanischer Partei zu Wort kommen ließ.

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