Immer weniger Mitglieder, Desinteresse in der Bevölkerung an kirchlichen Themen, überaltertes Personal – die evangelische Kirche sucht auf ihrer Synode in Würzburg nach ihrem künftigen Platz in der Gesellschaft.

Wie das gelingen soll, umschreibt der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm etwas kryptisch: Es soll keine „normative Kraft der Grauhaarigen“, aber auch keinen „bemühten Jugendkult“ geben. Dennoch startete die Synode mit dem Schwerpunktthema „Ermutigung und Zugehörigkeit – der Glaube junger Menschen“. Die diesjährige Zielsetzung ist auch als Appell zu verstehen: Öffnet die Kirche für neue Ideen und gewinnt damit junge Menschen.

Behäbig und bürokrratisch

Viele junge Menschen würden mit der Kirche aber erst einmal eine Institution verbinden, die ziemlich behäbig sei, eher staatlichen Amtsstrukturen ähnele und in der ziemlich viele Regeln beachtet werden müssten. Es erscheine manchmal so, als würde man diese Generation nicht mehr erreichen, übte Bedford-Strohm Selbstkritik.

Der 58-jährige warb dafür, als Kirche den „Geist der Freiheit“ auszustrahlen. Menschen müssten spüren, dass die Kirche ein Ort ist, an dem die Kraft des Glaubens Menschen bewege und die Liebe Reden und Handeln präge. Neue Ideen vor allem junger Menschen bräuchten dabei Platz und Vertrauen. „Am Anfang kann nicht immer schon klar sein, was das Ergebnis sein soll“, sagte Bedford-Strohm. Er wünsche sich, „dass wir als Kirche den Geist der Freiheit selbst neu entdecken und uns aus der Kraft dieses Geistes als Junge und Alte gemeinsam auf den Weg machen“. Er hoffe, „dass die Skeptiker Lust bekommen, mitzumachen“.

Das Volk Gottes müsse aber dennoch in all seinen Altersgruppen gemeinsam Kirche gestalten, sagte Bedford-Strohm. Alle Menschen suchten in ihrem Leben nach Sinn, und den könne die Kirche vielen Menschen bieten, sagte der bayerische Landesbischof, der an der EKD-Spitze die rund 21,5 Millionen deutschen Protestanten repräsentiert.

Von digitalem Wandel bis Missbrauch

Aber nicht nur die Verjüngungsdebatte treibt die EKD-Spitze um. Weitere Themen der Synode sind der digitale Wandel und dessen Konsequenzen für die Kirche sowie der Missbrauch von Kindern und Jugendlichen in der evangelischen Kirche. Bedford-Strohm bat die Opfer von Missbrauch in der evangelischen Kirche um Vergebung und versprach weitere Aufklärung. „Wir müssen weitere Konsequenzen ziehen, noch intensiver an Präventionskonzepten und zielgenauer Aufarbeitung arbeiten“, sagte er. Bedford-Strohm forderte „Null-Toleranz gegenüber Tätern und Mitwissern“. Dafür stehe die Kirche in der Pflicht.

Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) hat die evangelische Kirche dazu aufgefordert, in Fällen sexuellen Missbrauchs disziplinarrechtliche Konsequenzen zu ziehen und eine Strafverfolgung zu unterstützen. „Menschen, die Kinder missbrauchen und sie damit für ihr Leben schädigen, haben in keinem Amt der Kirche mehr etwas zu suchen“, sagte Giffey in einem Grußwort vor der Synode.

Blick zurück

Die Tagung steht auch im Zeichen historischer Gedenktage. Nach einem gemeinsamen Gedenken mit der jüdischen Gemeinde in Würzburg zum 80. Jahrestag der Reichspogromnacht am 9. November, erinnerte Bedford-Strohm im Auftaktgottesdienst an den 100. Jahrestag des Endes des Ersten Weltkriegs.

Dabei sagte er, dass die Kirche in der Geschichte ihren eigentlichen Auftrag oft verraten habe. Viel zu viele in Kirche und Theologie hätten im Ersten Weltkrieg „in den nationalistischen Taumel eingestimmt“, hätten Waffen gesegnet, die zu Millionen Toten geführt hätten, sagte Bedford-Strohm.

Der Synode der EKD gehören 120 gewählte und berufene Mitglieder aus Kirche, Politik und Gesellschaft an. Sie kommt in der Regel einmal im Jahr zusammen, um über aktuelle Themen zu beraten und Gesetze zu beschließen. Die Synode beschließt außerdem den Haushalt der EKD.

Proteste gegen kirchliches Arbeitsrecht

Begleitet wurde der Synodenauftakt von Protesten. Mehrere hundert Menschen gingen in Würzburg gegen den kirchlichen Sonderstatus im Arbeitsrecht auf die Straße. Zu dem Protest hatte die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di aufgerufen. Laut ver.di nutzt die Diakonie als Wohlfahrtsverband der evangelischen Kirche bisher zum Nachteil ihrer Beschäftigten einen Sonderstatus im Arbeitsrecht. In den diakonischen Krankenhäusern, Einrichtungen der stationären und ambulanten Altenhilfe, Kitas, Behinderten- oder auch Jugendhilfe müssten jedoch die gleichen Rechte gelten wie in weltlichen Wohlfahrtsbetrieben, fordert die Gewerkschaft und dringt auf verbindliche Tarifverträge.

Das kirchliche Arbeitsrecht wird auch als Dritter Weg bezeichnet – neben Angestellten- und Beamtenverhältnissen. Im kirchlichen Bereich werden die Arbeitsbedingungen zwischen Dienstgebern und -nehmern bislang im Einvernehmen ausgehandelt.

Personalprobleme

Die Situation des Arbeitsrechts und der Personalplanungen wird die evangelische Kirche aber auch die katholische Kirche künftig fordern. Beide kämpfen mit einem dramatischen Personalmangel bei Priestern und Pastoren. Wie das Nachrichtenmagazin „Focus“ schreibt, erwartet das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK), dass bis 2030 etwa 7000 von den aktuell rund 13.500 Pfarrstellen nicht mehr besetzt werden können. Eine solche Entwicklung sei „katastrophal“, sagte ZdK-Präsident Thomas Sternberg dem Magazin. „Wir werden die gewohnten Strukturen nicht mehr halten können. Laien müssen in Zukunft viel mehr Aufgaben übernehmen können.“

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) hat vergleichbare Probleme. Der Pfarrerverband geht davon aus, dass sich die Zahl der derzeit etwa 21.000 Pfarrerinnen und Pfarrer um rund ein Drittel reduzieren wird. Demnach können bis 2030 ebenfalls rund 7000 Stellen nicht nachbesetzt werden. „Das führt jeden einzelnen Pfarrer an seine Belastungsgrenze – und darüber hinaus“, sagte Andreas Kahnt, Vorsitzender des Pfarrerverbands.

cgn/fab (afp, dpa, epd, kna)

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