Hätte Zhang Danhong Anfang der 1990er-Jahre nicht einen Militärpfarrer heiraten wollen, hätte sie nie gewusst, was für eine Zumutung sie für manche deutsche Institutionen darstellte.

Anfang der 1990er-Jahre – da war doch was? Stimmt! Da ging der berühmte Kalte Krieg gerade erst zu Ende. Aber das kalte Lagerdenken existierte in den Köpfen der Menschen noch eine ganze Weile weiter. Da fragte der Nachbar meines Freundes im Talar, ein liebenswürdiger Major, der später unser Trauzeuge werden sollte, ob ich nicht vielleicht doch eine Spionin für die Kommunistische Partei Chinas sein könnte.

Als ich davon hörte, fühlte ich mich etwas beleidigt. Nicht von diesem Verdacht an sich, sondern von dem darin implizierten Zweifel an meiner Intelligenz. Hätte ich einen Auftrag aus China mitgebracht, hätte ich doch alles getan, um mir einen General, oder zumindest einen Oberst zu angeln. Was hat schon ein Militärpfarrer an geheimen Informationen zu bieten? Anscheinend genug – denn mein geistlicher Freund hatte immerhin die Sicherheitsstufe drei. Nach dem Bekanntwerden unserer Heiratsabsicht wurde er auf null heruntergestuft! Nie hätte ich gedacht, dass eine unbedeutende Chinesin wie ich für die Bundesrepublik Deutschland von nachrichtdienstlicher Relevanz sein würde! Wie schmeichelhaft!

Auch mein Freund hat die Entscheidung seines Dienstherrn mit Humor genommen. Der Heirat stand aber immer noch etwas Gravierendes im Wege: Für einen Pfarrer kommt eine Konfessionslose als Ehefrau nicht in Frage. Zwar haben es die evangelischen Pfarrer generell besser als ihre katholischen Pendants und müssen ihre Partnerin nicht als Haushälterin deklarieren. Dennoch musste in unserem konkreten Fall eine Entscheidung getroffen werden: Taufe vor der Heirat. Als ich dann tatsächlich neben einem Taufbecken in einer Düsseldorfer Kirche stand und in die Reihen der Offiziere und Soldaten blickte, beschlich mich doch etwas Unbehagen: Betrüge ich gerade Gott, wenn es ihn denn gibt? Denn dass ich hier bereit war, mich vor aller Augen von meinem zukünftigen Mann nass machen zu lassen, war einzig und allein dem Umstand geschuldet, dass ohne diesen Schritt kein weiterer zum Standesamt führen konnte. Für mich ist die Glaubenssache sehr einfach: Wächst man damit auf, glaubt man daran; gedeiht man ohne Gott, bleibt er eben irrelevant. Ausnahmen bestätigen die Regel.

In meinem Fall konnte ich neben dem Taufbecken stehen

Stand uns Gott doch irgendwo zur Seite?

Doch nach der Heirat wurde ich eines Besseren belehrt. Das hatte vor allem mit dem Fahrstil meines Mannes zu tun. Denn hinter dem Steuer war er nicht mehr der sanfte Geistliche, sondern ein Möchte-gern-Michael-Schumacher. Mein Herz rutschte mir anfangs immer in die Hose, wenn ich auf dem Beifahrersitz saß. Bis irgendwann ein Bekannter zu mir sagte: „Dein Mann fährt mit Gottes Vertrauen.“ Das erklärte die Sache natürlich und beruhigte mich ungemein.

Vor unserer kirchlichen Trauung passierte dann etwas, was mir noch mehr Ehrfurcht einflößte. Da erhielten wir eine mysteriöse Zuwendung in der Höhe seines Monatseinkommens. Mithilfe der Bank konnten wir ausschließen, dass es sich um ein Versehen des Arbeitgebers oder ein Geschenk des Finanzamtes handelte. „Das muss wohl ein Geschenk Gottes sein“, sagte ich und war von mir selbst überrascht.

Als meine Eltern mich fragten, was ihr Schwiegersohn denn beruflich so mache, antwortete ich spontan: „Er ist eine Art Parteisekretär in der Volksbefreiungsarmee.“ Das klang gut, damit waren sie zufrieden. Bei genauerem Nachdenken fand ich tatsächlich Parallelen zwischen beiden Gruppen. Während der Parteisekretär für die Parteitreue in der Armee sorgt, muss der Militärpfarrer versuchen, die Bundeswehrsoldaten glaubensmäßig bei der Stange zu halten. Er führt Trauungen durch, tauft Babys der Soldaten, hält Gottesdienste, organisiert sogenannte Rüstzeiten für die Familien, die ich am meisten liebte. Es war meist ein ganzes Wochenende an einem idyllischen Ort mit deftigem Essen, reichlich Alkohol, Wanderungen, Skatabend usw. Das einzig Religiöse dabei war die kurze Andacht am Sonntagmorgen. Ich habe von den Soldatenfrauen das Binden von Adventskränzen gelernt und von den Soldaten die kernigen Sprüche beim Skatspiel.

Militärseelsorge: Immer mit Gottes Segen unterwegs

Bundeswehr – eine Welt für sich

Natürlich ist ein Militärpfarrer nicht nur zum gemeinsamen Vergnügen, sondern auch für den seelischen Ausgleich der Soldaten da. Anfangs habe ich nicht verstanden, warum sich fast nur junge Männer mit Kummer an ihn wandten. Nach eingehender Beschäftigung mit der Geschichte der Männlichkeit in Europa habe ich gelernt, dass sich Männer der alten Schule noch am hegemonialen Männlichkeitsmodell orientieren, nach dem Indianer keine Schmerzen kennen und keine Schwäche zeigen. Erst nach der 1968er-Studentenbewegung hat die polymorphe Männlichkeit dieses alte Modell abgelöst. Heute dürfen Männer nun mit Fug und Recht Weicheier sein. Ich erinnere mich an einen Soldaten, der in tiefe Depressionen verfiel, weil er nach seiner Ansicht zu früh aufstehen musste. Als Rezept hätte ich ihm am liebsten „einen Monat in einer chinesischen Kaserne“ verschrieben.

Mein Ausflug in die Kirche und Bundeswehr dauerte zwei Jahre. Dann habe ich die Mitgliedschaft wieder gekündigt. Nicht weil mir die Kirchensteuer zu viel wurde, sondern weil ich es mit der Zeit mit meinem Gewissen doch nicht mehr vereinbaren konnte. Als Pfarrersfrau nicht an Gott glauben? Das konnte und durfte ich keinem erzählen. Und überhaupt: Ich war nach Deutschland gekommen, um vollumfängliche persönliche Freiheiten zu genießen – und nicht um eine Rolle zu übernehmen, schon gar nicht die Rolle der Pfarrersfrau. Also folgte dem Austritt aus der Kirche auch der Austritt aus der Ehe. Ich denke aber gerne an diese Zeit zurück, an die spannenden Gespräche mit Offizieren und Soldaten. Bei einigen habe ich das Interesse an China geweckt. Wenn ich doch eine Mission mitgebracht habe, dann vielleicht die der Völkerverständigung.

Zhang Danhong ist in Peking geboren und lebt seit 30 Jahren in Deutschland. In der Serie „Deutschsein ist kein Zuckerschlecken“ schreibt sie einmal wöchentlich über ihre ersten Kontakte mit der deutschen Sprache und ihre Integration in Deutschland.

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