Auf ihrer Reise von Peking nach Köln wurde Zhang Danhong von einem Schutzengel begleitet. Doch kaum war sie in der Metropole am Rhein angekommen, erlebte sie einen ersten, für Deutschland so typischen Kulturschock.

Ich bin an einem Samstagabend in Köln angekommen – nach einer Odyssee von Peking über Moskau, Ostberlin und Westberlin. In meinem jugendlichen Leichtsinn hatte ich in Peking einfach das billigste Ticket zum nächstmöglichen Flugtermin gekauft – ohne die genaue Route von Ostberlin nach Köln zu kennen und ohne zu wissen, ob ich in der ersten Nacht in Köln ein Dach über dem Kopf finden würde. Mein Vertrauen in das zivilisierte Deutschland war grenzenlos. Bis zur Ankunft in Köln wich mir mein Schutzengel nicht von der Seite. Konnte ich weiter auf ihn zählen?

Offensichtlich ja – denn kaum war ich aus dem Zug gestiegen, entdeckte ich Klaus Reh und seine Frau. „Willkommen in meinem Heimatland!“ Die Betonung lag auf „meinem“, denn bisher war es ja immer umgekehrt. Die Nachricht von meiner baldigen Ankunft habe sie in Aufruhr versetzt, schmunzelte seine Frau. Sofort hätten sie sich auf den Weg nach Köln gemacht, erst ein Hotelzimmer in Dom-Nähe reserviert, dann am Bahnsteig auf mich gewartet. Online-Buchungen gab es damals noch nicht einmal als Science-Fiction-Vision.

Klaus Reh hatte eine gute und eine schlechte Nachricht. Die Gute: Seine Sekretärin hatte für mich ein Zimmer im Studentenwohnheim ergattern können. Die Schlechte: Am Sonntag war das Sekretariat der Universität geschlossen, so dass ich zwei Nächte im Hotel verbringen musste. Das war aber eine bessere Alternative, als am Rhein ein Zelt aufzuschlagen. Beim Abschied im Hotel sagte mir Klaus Reh, dass mich sein Sohn, der auch an der Kölner Uni studierte, am Montagmorgen abholen, mich erst zum Unisekretariat und dann zum Studentenwohnheim begleiten werde. Im Bruchteil einer Sekunde hatte ich den Verdacht, dass sich mein Vater als Klaus Reh verkleidet und mich nach Deutschland verfolgt hätte.

Kirchenglocken statt Elektrosägen

In meinen letzten Monaten in Peking wurde ich jeden Morgen von einer Symphonie aus Elektrosägen und -bohrern aus dem Schlaf gerissen. Die ersten Nachbarn meiner Eltern, die von der Öffnungspolitik profitiert und einen bescheidenen Wohlstand erreicht hatten, waren eifrig dabei, ihre Wohnung neu zu gestalten. Nun wurde ich zum ersten Mal in meinem Leben von einem ohrenbetäubenden Kirchengeläut geweckt. Das klang so exotisch und aufregend! Als die Glocken langsam verstummten, wetteiferten die Vögel um den Titel des besten Sängers.

Die größte Glocke im Kölner Dom, die nur an hohen Feiertagen läutet. Aber auch ohne sie wird es ganz schön laut.

Auf einmal war ich hellwach. Sonntag! Ich hatte einen ganzen Tag Zeit, diese fremde Stadt ein wenig zu erkunden. Die Straße, in der sich das Hotel befindet, war menschenleer. Was ist denn hier los? wunderte ich mich. Wahrscheinlich liegt es daran, dass dies nur eine kleine Nebenstraße ist, versuchte ich mir selber eine Erklärung zu geben. Doch als sich an dieser Stille auch in der Straße wenig änderte, welche die Hauptgeschäftsstraße zu sein schien, fing ich an, unruhig zu werden.

Wo sind all die Menschen hin? Ist die Stadt evakuiert? Steht gar eine Katastrophe bevor? Warum sonst sind alle Geschäfte zu? Ich denke an die Wangfujing-Straße in Peking, quasi die Hohe Straße für die Hauptstadt Chinas. Gerade sonntags ist die Straße voll von Menschen, die dann Zeit und Muße für Einkäufe haben. Dann sah ich die Rettung: ein China-Restaurant, das auch noch geöffnet war. Ohne Zögern ging ich hinein und fragte den ersten Kellner, der mir über den Weg lief, was denn los in Köln sei. Über meine Ahnungslosigkeit amüsierte er sich wahrscheinlich innerlich, doch nach außen bewahrte er die asiatische Höflichkeit. Geduldig erklärte er mir, dass sonntags die Geschäfte in ganz Deutschland geschlossen blieben. Das habe geschichtliche und religiöse Gründe. Die Menschen seien in der Kirche, zu Hause oder machten Ausflüge.

Erst Jahre später gab es erstmals verkaufsoffene Sonntage in Deutschland

Im Vergleich zu Peking nur ein großes Dorf

Mit dieser Antwort gab ich mich erst mal zufrieden. Gestärkt durch eine Wantan-Suppe setzte ich meine Erkundungstour fort. Gefühlt alle fünfzig Meter stieß ich auf eine Kirche, sogar zwischen den Geschäften. So viele Kirchen bieten bestimmt genügend Platz für die ganzen Kölner. Was sie da machen, hat mich an diesem ersten Tag in Köln nicht sonderlich interessiert. Ich schlenderte weiter durch die Schildergasse und landete auf einem großen Platz. Das war schon das ganze Zentrum von Köln? Das entsprach ja höchstens einem Drittel der Wangfujing-Straße. Und ich hatte geglaubt, Köln sei eine Metropole. Dabei ist im Vergleich zu Peking meine neue Heimat höchstens ein großes Dorf.

Zhang Danhong ist in Peking geboren und lebt seit 30 Jahren in Deutschland. In der Serie „Deutschsein ist kein Zuckerschlecken“ schreibt sie einmal wöchentlich über ihre ersten Kontakte mit der deutschen Sprache und ihre Integration in Deutschland.

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